Speyer Martin Luther und das Adelssextett

Kaiser Wilhelm II. ließ eines aus Berlin schicken, König Ludwig III. eines aus München. Die „Dank- und Huldigungstelegramme“ der Hoheiten kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges galten am 2. Juni 1914 einem bedeutenden Speyerer Ereignis: Der Enthüllungsfeier für die sechs Fürsten-Standbilder in der 1904 eingeweihten Gedächtniskirche der Protestation.

Seit diesem Dienstag nach Pfingsten steht das Bronze-Sextett der protestierenden Landesherren in der Gedächtnishalle der „Retscherkirche“ im Halbkreis um das ebenfalls auf einem hohen Granitsockel postierte Bronze-Standbild von Martin Luther. Es sind Kurfürst Johann der Beständige von Sachsen (gestiftet vom Herzog von Meiningen), Markgraf Georg der Fromme von Brandenburg (von Kaiser Wilhelm II.), Herzog Ernst und Herzog Franz von Lüneburg (vom Herzog von Cumberland/Wien), Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen sowie Wolf, Fürst von Anhalt (bezahlt von den Großherzögen von Hessen und Sachsen-Weimar und dem Herzog von Anhalt-Dessau). Das von dem Münchner Professor Hermann Hahn geschaffene Standbild Martin Luthers – der Bildhauer verlieh ihm die Gesichtszüge nach einem Gemälde von Lukas Cranach dem Älteren – ist eine Stiftung deutsch-amerikanischer Lutheraner und wurde bereits am 13. August 1913 aufgestellt. Der Reformator hält in seiner Linken die aufgeschlagene Bibel und ballt die Rechte zur Faust, mit dem rechten Fuß zertritt er die päpstliche Bannbulle. Die im Boden eingelassene Inschrift – „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen!“ – erinnert an Luthers Auftreten vor dem Wormser Reichstag 1521. Den Plan, die Protestierer von 1529 als Standbilder darzustellen, gab es bereits 1904. Aber aus Kostengründen dauerte lange, bis die Figuren in Auftrag gegeben werden konnten. Erst zehn Jahre nach der Kirchenweihe 1904 konnten das Sextett um die Luther-Statue gruppiert und die Wappen der 14 ebenfalls protestierenden Reichsstädte in den Bogenzwickeln der Nebenportale angebracht werden. Die Ausschreibung zur Gestaltung der Landesherren hatte der Berliner Bildhauer Max Baumbach gewonnen. Angefertigt worden waren die 1,80 Meter hohen Figuren von der Gießerei Aktiengesellschaft Gladenbeck in Berlin-Friedrichshagen. Zur Geschichte der Standbild-Enthüllung gehört auch, dass zumindest eines nicht eben ohne Weiteres gestiftet worden war. So wollte das „Kabinett seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs von Hessen und bei Rhein in Darmstadt“ ganz genau Bescheid wissen, was mit der Spende von 5500 Mark für das Standbild für Philipp den Großmütigen geschah. Darüber entspann sich ein bemerkenswert langer Briefwechsel mit der Kirchenverwaltung in Speyer. Er ist wie alle anderen den Bau der Gedächtniskirche betreffenden Pläne und Schreiben im Archiv der Evangelischen Kirche der Pfalz erhalten. Der Briefwechsel begann am 8. Juli 1910 mit der Bestätigung des am Vortag eingegangenen Gesuches aus Speyer. Zitate aus den Schreiben von Speyer nach Darmstadt und umgekehrt geben Zeugnis vom Umgang zwischen Großbürgertum, Kirche, und den Sachwahrern des Großadels. So heißt es zu Beginn: „Wir werden nicht verfehlen, das Gesuch seiner Kgl. Majestät dem Großherzog nach Höchstderen in einigen Wochen zu erwartenden Rückkehr von England untertänigst vorzulegen“. Am 12. September 1910 teilte Darmstadt die Höhe der großherzoglichen Spende mit. Danach verebbte der Austausch. Bis sich Speyer am 19. August 1911 „nach dem Stand der Dinge“ erkundigte. Das erwähnte Kabinett ließ sich abermals Zeit. Am 12. September 1912 endlich schrieb es: „Seine Kgl. Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein fanden den Entwurf des Standbildes wohlgelungen. Höchstdiesselbige meinten nur, der rechte Arm der Statue wirke nicht natürlich und es empfehle sich daher eine kleine Veränderung, durch die der Arm eine ungezwungene Haltung bekomme.“ Das zusagte Geld war aber noch immer nicht da. Die Kirchenoberen in Speyer wurden vermutlich unruhig. Ein Zustand, der bis einen Monat vor der Enthüllungsfeier anhalten sollte. Dann endlich durften sie wohl aufatmen: Die Speyerer Filiale der Rheinischen Kreditbank konnte nunmehr bestätigen, dass die zugesagte Summe von 5500 Mark „am 5. Mai 1914 bei uns einbezahlt wurde“. Drei Jahre nach der Enthüllungsfeier der Standbilder erschreckte ein anderes Schreiben die Kirche. Das Berliner „Kriegsamt des Kriegsministerium, Abteilung Rohstoffe“ fragte wegen der Bronze-Standbilder an – „zur Deckung des Bedarfs an Kriegsmaterial“. Es blieb bei der Erkundigung. Der Hinweis, dass auch der Kaiser einer der Stifter war, verhinderte wohl das Einschmelzen der Figuren ...

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