Speyer „Länger und häufiger zuhören“

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Meinung am Montag: Große Koalitionen prägen in Speyer und auf Bundesebene die Politik, haben es aber bei Wahlen zunehmend schwer. Populisten nehmen sie in die Zange. Wie gehen junge Politiker damit um? Patrick Seiler hat die beiden Speyerer Kreisvorsitzenden Michael Spirk (Junge Union, CDU) und Noah Claus (Jusos, SPD) dazu befragt.

Herr Spirk, Herr Claus, überall ist die Rede von der Krise der Volksparteien – starten Sie politisch gerade auf einem sinkenden Schiff durch? Spirk:

Es sind unruhige Zeiten, aber ich glaube, dass gerade jetzt der richtige Moment ist, um sich zu engagieren. Es gibt eine gewisse Unzufriedenheit allen Parteien gegenüber, und es gibt auch Ängste, aber dem kann man mit persönlichem Einsatz für einen stärkeren politischen Diskurs begegnen. Claus: Die Volksparteien sind in der Krise, ihre Vertrauenswürdigkeit hat gelitten, ganz klar. Deshalb hat auch die AfD Zulauf. Ich bin aber bewusst im vergangenen Jahr in die SPD eingetreten, weil sie die richtige Partei ist, und will darum kämpfen, dass sie wieder mehr Prozent erhält. In Speyer hatten Ihre Jugendorganisationen gerade in jüngster Zeit Durststrecken. Woran liegt das? Claus: Das hatte mit den Jobs unserer bisherigen Doppelspitze zu tun. Stefanie Seiler ist Stadtverbandsvorsitzende der SPD und Beigeordnete geworden, Philipp Brandenburger beruflich und in politischen Ämtern eingespannt. Ich bin jetzt seit einem Monat Vorsitzender und habe die Zeit, wieder mehr zu machen. Spirk: Bei uns gab es die Durststrecke auch, und das hatte mit einer Fortbildung des damaligen Vorsitzenden Gregor Flörchinger zu tun. In den eineinhalb Jahren, in denen ich am Ruder bin, konnte ich mich zum Glück auf einen sehr aktiven Kreis von 15 bis 17 Leuten stützen, übrigens mit fast 50 Prozent Frauen. Im Speyerer Stadtrat gibt’s heute eine große Koalition, und 2018 geht es dann gegeneinander in die OB-Wahl. Ist es eigentlich schwer, mal Freund, mal Feind zu sein? Spirk: Wir kriegen es ganz gut hin, wie zuletzt im Landtagswahlkampf, in dem wir beide für unsere Parteien sehr aktiv waren. Man kennt sich und weiß: Der politische Wettkampf ist letztlich auch sportlich. Claus: Ich sehe das genauso. Wenn Oberbürgermeister Hansjörg Eger die Wahl wieder für die CDU gewinnen würde, könnte sicher auch die große Koalition erhalten bleiben. Wenn sich die Kandidatin oder der Kandidat der SPD durchsetzen würde, wäre das etwas anderes, weil dann die unterlegene Partei nicht die große Koalition führen könnte. Eger ist ein gutes Stichwort: Wer tritt eigentlich bei der OB-Wahl für Ihre Parteien an, und wer gewinnt? Spirk: Ich hoffe, dass Hansjörg Eger wieder kandidiert. Er hat eine gute Politik gemacht, ist die einzige Person, die für mich infrage kommt. Claus: Bei der SPD ist es noch offen. Wie wär’s mit der Beigeordneten Stefanie Seiler? Claus: Ich würde mich freuen, wenn sie kandidiert. Sie ist kompetent und hätte gute Chancen. Sind CDU und SPD programmatisch noch klar zu unterscheiden? Spirk: Sie müssen unterscheidbar sein, das ist ein wichtiger Punkt, nur so kann man extreme Strömungen kleinhalten. Die AfD macht sich’s zu einfach mit ihrer Kritik am „bösen Establishment“. Wir haben klare Positionen, die aber nicht immer richtig wahrgenommen werden. Und zur SPD gibt’s Unterschiede, etwa in der Steuerpolitik oder bei den Vorstellungen zum Bildungssystem. Claus: Richtig, man kann uns unterscheiden. Aus meiner Sicht dürfte es sogar noch deutlicher sein, die SPD dürfte ruhig noch etwas aus der Mitte nach links rutschen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, welche die Partei der sozialen Gerechtigkeit ist. Eine Reichensteuer wäre der richtige Weg. Das klingt nach einem Anhänger einer möglichen rot-rot-grünen Koalition in Berlin? Claus: Ja, das wäre mir lieber als eine große Koalition. Wir sollten diese Möglichkeit nutzen, wenn sie da ist. Und Ihre CDU, Herr Spirk? Der lokale Bundestagsabgeordnete Norbert Schindler hat diese Woche für einen Rechtsruck plädiert … Spirk: Wenn politisch rechts bedeutet, dass wir Themen wie Rente, Finanzen oder Gesundheit wieder stärker in den Vordergrund rücken, bin ich mit ihm einig. Wir müssen für unsere Kernthemen mehr Einsatz zeigen. Unter Angela Merkel hat es natürlich eine Liberalisierung gegeben, die aber in Punkten, die die Menschenrechte betreffen, nicht in Frage gestellt werden sollte. Die AfD schert Ihre Parteien ja als „Altparteien“ über einen Kamm. Verändert diese neue Gruppierung Ihre Art, Politik zu machen? Claus: Nein. Wir werden keine andere Politik machen, nur weil so viele Leute die AfD wählen. Wir werden jetzt nicht einfache Lösungen zu schwierigen Fragen bieten, um mehr Stimmen zu bekommen. Was die meisten Politiker hoffentlich dadurch gelernt haben, ist, dass sie die Ängste und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen müssen. Spirk: Da stimme ich zu, auf jeden Fall hat uns die Partei gelehrt, dass wir noch länger und häufiger zuhören müssen, wenn’s um die Nöte der Bürger geht. Auch die CDU ist dafür in Facebook sehr aktiv. Für drei, vier Prozentpunkte mehr werde ich aber keine AfD-Politik machen. Und in den USA wird Donald Trump Präsident. Was bedeutet das? Claus: Ich bin gespannt. Ich habe damit gerechnet, dass er gewinnt, auch wenn mir Hillary Clinton lieber gewesen wäre. Mal sehen, wie lange er im Amt bleibt. Klar ist allerdings: Es wird neue Zeiten in der Beziehung mit den USA geben. Spirk: Ich will Clinton nicht auf eine bessere Stufe stellen als Trump. Ihm in die Karten gespielt hat auch, wie sie den demokratischen Mitbewerber Bernie Sanders abgeschmettert hat. Donald Trump ist ein erfolgreicher Autor, kennt die Tricks der Rhetorik, hat adressatengerechter gesprochen. Wir können nur hoffen, dass er die USA nicht in der Art isoliert, wie er es angekündigt hat. Wollen Sie eigentlich selbst Berufspolitiker werden? Claus: Ja. Ich würde gerne nach dem Abitur Volkswirtschaft und Politikwissenschaft studieren und mich dann auf die Partei konzentrieren. Quereinsteiger etwa aus der Wirtschaft in die Politik mag ich gar nicht – umgekehrte Fälle noch weniger. Spirk: Ich habe in fünf Jahren gelernt: In der Politik ist nichts planbar. Politik als Beruf wäre eine Option, weil sie mir viel Spaß macht. Wie wollen Sie mehr Zulauf für JU und Jusos in Speyer gewinnen? Spirk: Schulen sind der zentrale Ort dafür: Dort müsste es mehr Diskussionsforen geben, man könnte Leute erreichen, die unabhängig denken. Leider lassen viele Schulleiter das nicht zu. Zeitungsredakteure könnten da etwa moderieren. Natürlich funktioniert der Zugang zur Jugend auch über Sport. Wir haben da gute Erfahrungen mit Fußballturnieren und Spendenläufen gemacht. Claus: Wir müssen uns in der Öffentlichkeit zeigen, diskutieren. Wir machen Angebote vom Glühweinstand bis zu „Politik in der Kneipe“. Auch ich glaube, dass man die Leute in den Schulen packen kann. Klar ist: Sie kommen nicht freiwillig. |pse

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