Speyer Im Blickpunkt: Auflösung Bundeswehr-Standort Speyer: Gefangen im System

Sebastian Knaust

allerdings hat keine Probleme mit der Situation. Der 37-Jährige aus Thüringen ist Berufssoldat, derzeit im Rang eines Majors. Seit 15 Jahren trägt er Uniform, wurde seither achtmal versetzt. „Ich habe einmal die Republik vermessen“, nennt er das. Der Dienstherr habe ihm das bei Eintritt in den Dienst klar und deutlich gesagt: in dem Beruf ist bundesweite Mobilität gefordert. Darauf haben sich Knaust und seine Familie eingestellt. Der verheiratete Familienvater hat seinen Wohnsitz noch immer in der thüringischen Heimat, pendelt zum Dienstort. „Das ist eine zentrale Lage in Deutschland. In einem Radius von 500 Kilometern passt alles“, sagt der Soldat gelassen. Seine Frau akzeptiert das. Seine Familie und er selbst seien bisher durchweg gut damit gefahren. Als er im Juni 2014 nach Speyer kam, war die Standortauflösung und damit sein nächster „Umzug“ schon beschlossen. Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit der RHEINPFALZ Ende Mai ist für den Major noch nicht klar, wo er demnächst am Sonntagabend hinfahren muss. Heute, drei Wochen später und sechs Tage vor dem offiziellen und formalen Abschied aus Speyer, ist die Frage weiter offen. Der Kölner Tony Benker hat das Warten auf die Entscheidung, wann und wo es für ihn weitergeht, nicht so entspannt erlebt. Seit 2011 ist der 25-jährige Stabsunteroffizier (StUffz) in der Kurpfalzkaserne, hat die Stadt schätzen gelernt („Sie liegt nah an der Autobahn“). Seit das Aus für Speyer sicher ist, ist für ihn ungewiss, wohin er versetzt wird. „Das Privatleben weiter zu planen, ist unter diesen Umständen schwierig“, betont der Zeitsoldat. Nicht nur er, auch die Freundin in Köln will wissen, wie es weitergeht. Im Januar dieses Jahres fanden die Gespräche mit Vertretern der Personalverantwortlichen statt. Auf Listen konnten Wunsch-Standorte eingetragen werden. Seither herrscht Ungewissheit. Der „Spieß“ – also der Kompaniefeldwebel – ist in dem Prozess unverzichtbar. Er hört sich die Nöte seiner Soldaten an, zieht für sie alle Register, telefoniert, mailt, spricht, fragt nach, versucht zu helfen, wo es geht. Oberstabsfeldwebel Andreas Kurz, selbst Berufssoldat, bilanziert nach 32 Dienstjahren unter anderem sieben Umzüge, viele Auslandseinsätze und eine „berufsbedingt“ gescheiterte Ehe, kennt die Lage der oft jungen Soldaten. Kurz macht da einen außergewöhnlich guten Job, bescheinigen ihm „seine“ Soldaten. „Für viele ist es das erste Mal, dass sie so etwas erleben. Ich kenne die Belastungen, die das mit sich bringt“, sagt der erfahrene Soldat. „Wir brauchen mehr Planungssicherheit. Ein Jahr vorher müssen die Soldaten genau und verlässlich wissen, wo die Anschlussverwendung stattfindet“, präzisiert er seine Forderung an Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Die Soldaten nicken. Tony Benker hat in der Woche zuvor Bescheid erhalten. Er kann nach Holzminden. Das stand auf seinem Wunschzettel. Was er dort genau macht, weiß er noch nicht. „Ich bin ziemlich erleichtert“, kommentiert er dennoch die Entscheidung.„Man selbst ist weniger das Problem bei der Sache. Viel schlimmer ist es eigentlich für Partner, Familien und Angehörige“, hat Stabsunteroffizier Daniel Abel aus Kaiserslautern gemerkt. „Weißt Du was? Gibt es eine Entscheidung? Das kriegst Du täglich zu hören“, erzählt er. Abel hätte ohnehin vorübergehend Abschied nehmen müssen von Speyer. Für den 25-Jährigen steht der nächste Karriereschritt an. Seine Feldwebel-Lehrgänge beginnen in Bayern. Er muss und will sie alle absolvieren und bestehen. Das bedeutet für ihn und seine Familie Umstellung, für ihn Verzicht. Abel ist Mitglied der Basketball-Nationalmannschaft der Bundeswehr. Er kann wegen der Laufbahn-Lehrgänge 2016 nicht mit dem Team bei den militärischen Weltspielen des International Military Sports Council (CISM) in Korea auflaufen. „Der Beruf geht vor“, definiert er seine Prioritäten. Glücklich ist er, dass er als Feldwebel nach Idar-Oberstein wechseln kann. „Das ist heimatnäher als bisher und aus persönlichen Gründen, auch weil eine Behinderung in der Familie ist, ganz, ganz wichtig für mich.“ Abel dankt ebenfalls seinem Spieß für dessen Engagement. „Ich konnte ihn immer ansprechen, er hat sich gekümmert.“Glück im Unglück, auch dank persönlichen Einsatzes seiner Vorgesetzten im Dschungel der Militärbürokratie, hat Daniel Krieger seiner Meinung nach gehabt. Der 25-jährige StUffz aus Wiesbaden ist selbst aktiv geworden, hat sich im November vorigen Jahres für eine Stelle in einer Einheit in Holzminden beworben. Der aus seiner Sicht passende Posten war dort ausgeschrieben. Eigentlich hat alles gepasst. Bis aber Klarheit bestand, das dauerte. Immer wieder nachfragen, keine Zusage, keine Entscheidung. Der gelernte Metallbauer musste im Bereich Feldlagerbetrieb – der „Spezialität“ der Speyerer Spezialpioniere – als Heizungsbauer ran. Was ihm nicht hundertprozentig geschmeckt hat. Dank des hartnäckigen Einsatzes seines Spießes sowie permamentem Nachbohren hat es am Ende mit dem neuen Standort hingehauen. „Die Ungewissheit zehrt an den Nerven. Mit so einem Wechsel ändert sich ja alles für das private Umfeld, das ist eine Entscheidung für einen ganz neuen Lebensabschnitt.“ 200 Kilometer muss er von zuhause aus fahren. Sein Fazit: „Letztlich gut gelaufen.“Das kann Dimitrios Georgantopoulos noch immer nicht endgültig sagen. Der griechisch-stämmige gebürtige Mannheimer ist echter und bekennender Kurpfälzer. Familie, Freunde, Frau, alle in und aus der Region. Der 30-Jährige und seine Frau, angestellte Lehrerin in einer Grundschule in Edigheim, haben sofort nach Bekanntwerden der Standortaufgabe ihre Lage gecheckt, Vor- und Nachteile abgewogen. Die Prämisse des Zeitsoldaten von Anfang an: „Meine berufliche Zukunft ist die Bundeswehr.“ Georgantopoulos und seine Frau haben dann zügig Nägel mit Köpfen gemacht. „Ich gehe nach Husum“, lautete die Entscheidung. Husum ist das Schwesterbataillon von Speyer, das jetzt nach dem Aus für die Domstadt ausgebaut wird. Dort entstehen viele (militärische) Posten neu. Die Entscheidung ist mitgetragen vom gesamten Umfeld in der Quadratestadt. Auch Gespräche mit dem Spieß, den „Personalern“ und sogar ein Besuch an der Küste und eine erste – erfolgreiche – Suche nach einer neuen Bleibe liegen schon hinter dem Paar. Der Stabsunteroffizier hat den Feldwebel im Visier, den entsprechenden Eignungstest gerade bestanden, wird von seinem direkten Vorgesetzten Kurz inzwischen schon konsequent „StUffz-FA“ – Feldwebel-Anwärter genannt. „Obwohl ich das noch gar nicht bin“, gibt der Mannheimer ebenso konsequent zurück. Wie auch immer: Georgantopoulos bewirbt sich, kaum dass die Auflösung von Speyer befohlen, sofort für Husum. Seine Frau teilt dem Schulrektor ebenso so schnell mit, er solle sie nicht weiter verplanen für ihre bisherige Klasse, sie ziehe mit ihrem Mann in Kürze in den Norden. Gleichzeitig verzichtet sie auf eine Bewerbung als Beamtin in Baden-Württemberg. Das Problem: Die Bundeswehrbürokratie ist nicht von der schnellen Truppe. Der Soldat, zweimal im Auslandseinsatz in Afghanistan, einmal im Kosovo, hört nichts auf seine Bewerbung, seine Frau betreut nicht mehr verantwortlich „ihre“ Klasse. Beide hängen zwischen allen Stühlen. „Ich habe mich zu früh beworben. Um mich mussten sie sich nicht mehr bemühen“, kommentiert der Mannheimer die Situation leicht zynisch. Erst seit voriger Woche sieht er Licht am Ende des Tunnels. Der passende Dienstposten ist zum 3. Juli 2016 an der Küste frei. Offen ist aber noch, wo seine Lehrgänge laufen – im Norden oder im Süden der Republik – und wo dann seine Frau wohnt. „Wir sind Gefangene des Systems“, beschreibt der Soldat seine Lage. Er wollte inzwischen schon die Uniform ausziehen und das Studium an der Abendschule aufnehmen – als Zivilist. Am Dienstag sagte er dann so erleichtert wie begründet: „Meine berufliche Zukunft sehe ich in der Bundeswehr.“ 800 Kilometer weg von der Rhein-Neckar-Region, Mannheim und Speyer.

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