Speyer Feinsinnig und nuanciert

Eine faszinierende Reise in zeitlich und musikalisch ferne Welten des englischen Mittelalters hat das Ensemble White Raven aus Basel am Sonntagabend in der Speyerer Domkrypta gestaltet. Das Konzert der „Internationalen Musiktage“ war ausverkauft.

Die irische Sopranistin und Harfenistin Kathleen Dineen, der amerikanische Tenor Robert Getchell sowie der aus Südfrankreich stammende Bariton Mathias Spoerry bilden ein stilistisch höchst kompetentes Trio mit wunderbar klaren und reinen, im Zusammenklang perfekt harmonierenden und ausbalancierten Stimmen. Für ihr Programm „Iam dulcis amica“ mit mehrstimmiger englischer Liedkunst des 11. bis 15. Jahrhunderts fügten sich zwei Gastmusikerinnen nahtlos in den Ensembleklang ein: die Engländerin Grace Newcombe (ebenfalls Sopranistin und Harfenistin) sowie die aus Metz stammende Fidelspielerin Anna Danilevskaja. Bei White Raven ist alles stilistisch völlig stimmig, feinsinnig und nuanciert, dabei aber höchst klangsinnlich und lebendig musiziert. Es ist eine sehr zarte, ziselierte und stille, von lautstarker moderner Rhetorik ferne Musik, die das Ensemble präsentiert. Als am Sonntag der Klang von Martinshörnern durch die Dommauern in die Krypta drang, hielten die Musiker mit dem Singen zu Recht inne, bis wieder Stille eingekehrt war. Exotisch, aber spannend und zauberhaft mutet diese Musik an. In England hatten sich Melodik und Mehrstimmigkeit anders entwickelt als auf dem Kontinent. Manches war da hinter den französischen Strukturen zurückgeblieben. Zugleich hatte es aber auch Vorgriffe auf so manches gegeben, was in der kontinentalen Musik erst in der Renaissance aufkam. White Raven zeigte anschaulich, wie sich der musikalische Bogen der Epoche bis zu manchen dem Dur-Klang angenäherten, wohltönenden Liedern spannte (Pia mater salvatoris). Textlich war der damals in England ausgiebig betriebene Marienkult in den Vordergrund gerückt: Entsprechend besang das Ensemble die Liebe zur Jungfrau Maria, etwa in „Edi beo thu hevene quane“. Der altenglische Text heißt: „Sei gesegnet, himmlische Königin“ – später hatte die Marienliebe auch als Metapher für die weltliche Liebe gedient. Das bekannteste und komplexeste Beispiel für frühe englische Polyphonie ist der „Sommerkanon“, der – in der Krypta besonders reizvoll – fünfstimmig erklang. Schön waren die zwei Volkslieder „Blow northern wynde“ und „I have a jung suster“, die der Sänger John Fleagle geschmackvoll in einen mittelalterlich anmutenden Satz gekleidet hatte. Ebenso schön klangen Harfen und Fidel im instrumentalen „Amis tous dous“.

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