Speyer Auf See und auf der Straße

Die aktuellen Bestsellerlisten der Speyerer Buchhandlungen bescheren eine freundliche Mischung abwechslungsreicher Sommerlektüre: An der Spitze steht Luc Bannalec mit seinem nächsten Kommissar-Dupain-Krimi „Bretonische Flut“.

Bannalec nimmt seine Leser mit auf die raue bretonische See und taucht mit ihnen in die dunklen Geheimnisse der maritimen Natur, keltischen Esoterik und lokalen Eigenheiten ein. Jojo Moyes und Benedict Wells sind jeweils mit zwei verschiedenen Romanen in den Listen vertreten: Moyes überzeugte die Leserschaft im vergangenen Monat sowohl mit „Über uns der Himmel unter uns das Meer“ als auch mit „Ein ganz neues Leben“, der Fortsetzung ihres Erfolgsromans über das Schicksal von Luise Clarks. In seinem frühen Roman „Fast genial“ erzählt vom Roadtrip des jungen Mannes Francis Dean durch Amerika auf der Suche nach seinem unbekannten Vater. Sein aktuelles Werk „Vom Ende der Einsamkeit“ handelt ebenfalls von einer Suche, der Suche nach einem emotionalen Zuhause in einer geliebten Person. Beide Romane erfreuten sich ebenfalls im sommerlichen Speyer der Lesergunst. Eine besondere literarische Erfrischung mit Potential, die Leserherzen auch in den kommenden Monaten zum Schmelzen zu bringen, ist der Roman „Die Eismacher“. Darin erzählt der niederländisch-indische Autor Ernest van der Kwast das Schicksal der Brüder Giovanni und Luca aus der Eismacher-Dynastie der Südtiroler Talaminis. Zwischen herrlich recherchierten Einblicken in die Eisproduktion geht es um die Liebe, Traditionen und Selbstbestimmung. Kürzlich stand in einem der britischen Feuilletons die Theorie, dass sich britische Lesende in Zeiten politischen Unwetters und gesellschaftlicher Instabilität gerne Naturthemen zuwenden. Tatsächlich gab es im vergangenen Jahr in Großbritannien zahlreiche dokumentarisch-beobachterische Romane mit Wildtieren als Protagonisten. Helen MacDonalds „H wie Habicht“ war einer davon und hatte ganz besonderen Erfolg bei der Leserschaft: In ihm schildert die Autorin aus ihrer eigenen Erfahrung schöpfend den schwierigen, Narben hinterlassenden Beziehungsaufbau zwischen einer Falknerin und ihrem Falken. Wonach sehnt sich die Leserschaft solcher Werke? Und: Ziehen sich die Autoren aus der politischen Verantwortung? Vielleicht ermöglichen Autorinnen wie MacDonald ihrer Leserschaft die Wiederentdeckung einer offenen, unverhohlenen Bestialität und eine Rückkehr zum Mut für herausfordernde Beziehungen. Also eine Abkehr von der scheinbaren, heuchlerischen Zivilisation der urbanen menschlichen Umwelten und von den Diskussionen der aktuellen Politik. Und durchaus ein politischer Schritt. Es gibt natürlich auch Autoren, die sich direkt mit der Gesellschaft auseinandersetzen und klare Worte für sie finden – so wie Owen Jones, der sich in seinen politisch-historiscen Sachbüchern mit den gesellschaftlichen Hierarchien in Großbritannien beschäftigt: In deutscher Übersetzung erhältich ist „Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse“. Darin zeigt der Autor die Mechanismen, durch die bestimmte sozio-ökonomische Bevölkerungsgruppen kulturell an den Rand gedrängt und stigmatisiert werden. Ein großer Erfolg in England war und ist außerdem Jones’ bisher nicht ins Deutsche übersetztes Buch „The Establishment – and how they get away with it“ („Das Establishment – und wie es sich hält“). Hierin geht es um Geschichte und Gegenwart der Eliten in Großbritannien. Beide Werke sind besonders im Kontext der britischen EU-Austritts- Kampagne interessant. Sie liefern wichtige Hintergründe für deren Erfolg in der breiten Bevölkerung. Auch wenn sie einige Zeit vor der Debatte über die EU erschienen sind, decken Owens Sachbücher die scheinbare Einstimmigkeit der Working Class und der politischen Eliten zum Thema Brexit als Resultat nachhaltiger gesellschaftlicher Marginalisierung auf. Comic Relief, also befreiende Komik, zur wenig erfreulichen politischen Lage finden Lesende in Bill Brysons neuem Großbritannien-Porträt „It’s teatime my dear! Wieder reif für die Insel“. Der Amerikaner gibt einen kritischen, aber stets liebevoll komischen Einblick in die ihm sehr vertraute Inselgesellschaft. Für sprachlich Gewandte sei außerdem Miranda Harts urkomische Autobiographie „Is it just me?“ („Geht es nur mir so?“) empfohlen; eine deutsche Übersetzung ist noch nicht erhältlich. Die Stand-up-Kabarettistin und Schauspielerin gibt ein herzerweichendes Zeugnis über die Schwierigkeit, sich als Britin durchs Leben zu kämpfen, und beschreibt die Fettnäpfchen des Alltags. In der stark durch gesellschaftliche Konventionen geregelten Lebenswelt bereiten ernste Angelegenheiten wie Geburt und Tod der Britin die wenigsten Schwierigkeiten. Problematisch wird es dort, wo keine genauen Verhaltensregeln gelten, wo das Leben mit all seinen Fettnäpfchen einfach so seinen Lauf nehmen kann.

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