Rhein-Pfalz Kreis Wie bei gewürztem Essen

Wie weit Leo Kraemer seinen Stil entwickelt hat, beweist seine Improvisation – auch in der nicht ganz voll besetzten Schlosskirc
Wie weit Leo Kraemer seinen Stil entwickelt hat, beweist seine Improvisation – auch in der nicht ganz voll besetzten Schlosskirche.

«Fussgönheim.» Der Auftritt der Palatina Klassik Vokal- und Brassensembles in der Fußgönheimer Schlosskirche hat ein ganz besonderes Schmankerl geboten: Die Vorpremiere einer gregorianischen Messe, die Leo Kraemer, der künstlerische Leiter des Projekts, geschrieben hat. Und es gab noch mehr zu entdecken.

Leo Kraemer versteht es wie kaum ein anderer, interessante Programme zu entwickeln und dabei Brücken zwischen Epochen und Stilen der Musik zu bauen. Und dass er dabei gerne auch eigene Werke vorstellt, ist stets ein Gewinn. Den ersten Teil des Konzerts umrahmten Auszüge aus Claudio Monteverdis Marienvesper. Hier und im weiteren Verlauf stand die Mehrchörigkeit der Renaissance im Mittelpunkt der Komposition. Dieser Stil entstand in Venedig, wo in der Kathedrale von San Marco Chöre an verschiedenen Orten in der Kirche aufgestellt wurden. So entstand quer durch den Raum ein Geflecht der verschiedenen Stimmen. Wie immer glänzte das Palatina Klassik Vokalensemble mit bestechend sauberer Intonation und enormer Dynamik. Bei der Marienvesper entstand so ein eindrucksvolles Wechselspiel zwischen Sängern und Bläserensemble, das ebenfalls auf höchstem Niveau erklang. Der Regensburger Gregor Aichinger ist heute weniger bekannt. Er lernte seine Kunst noch bei Orlando di Lasso. Seine Vertonung des 150. Psalms ist ganz im Geist der späten Renaissance und stellt ebenfalls Chöre einander gegenüber. Zu Rudolf Tobias, einem estländischen Komponisten, erzählte Kraemer eine eindrucksvolle Geschichte. 1990, beim Zusammenbruch der Sowjetunion, zu der Estland seit 1940 gehörte, war Kraemer dort Leiter der Staatsphilharmonie. Auf dem Platz der Philharmonie standen sich demonstrierende Estländer und sowjetische Truppen Auge in Auge gegenüber. Und da sangen die Demonstranten Lieder von Tobias. Die beiden Motetten, die der Chor in der Schlosskirche sang, waren von spätromantischem, harmonischen Wohlklang geprägt. Das entspannte den Teil der Zuhörer, dem zuvor Kraemers Missa Gregoriana vielleicht etwas zu dissonant war. Mit Dissonanzen ist es wie mit scharf gewürztem Essen: Man muss sich daran gewöhnen. Für Kenner sind Kraemers farbenfrohe Harmonien eine Freude. Zu den Elementen seiner musikalischen Sprache gehören ungewöhnliche Tonleitern, etwa die Ganztonleiter, die eine schwebende Stimmung schafft, weil sie in keine bestimmte tonale Richtung deutet. Cluster, bei denen benachbarte Töne geschichtet werden, schaffen dichte Texturen und Dissonanzen. Akkorde löst Krämer aus ihrem üblichen funktionalen Zusammenhang und verwendet sie als Klangfarben eines größeren Ganzen. Wie weit Kraemer seinen Stil entwickelt hat, beweist seine Improvisation. Anstelle der angekündigten Mendelssohnschen Orgelsonate improvisierte Kraemer über ein Motiv aus dessen „Sommernachtstraum“, einem Orchesterwerk, das Kraemer kürzlich mit der Philharmonie in St. Petersburg aufgeführt hat. Das Horn-Motiv griff Kraemer auf und verarbeitete, umspielte und begleitete es. Dabei entwickelte er ein sehr farbiges Klangbild.

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