Rhein-Pfalz Kreis Komplette AfD-Fraktion verlässt Partei

„Das ist nicht mehr meine Welt“, sagt Matzat zur aktuellen Entwicklung in der Bundes-AfD, die seit Samstag von der rechtskonservativen Frauke Petry geführt wird. Beim Parteitag in Essen hatte sie sich gegen die wirtschaftsliberale Galionsfigur Bernd Lucke durchgesetzt. Matzat ist bekennender Lucke-Anhänger und prognostiziert nach dessen Abwahl, dass „die Bewegung mittelfristig verschwinden“ wird. Die Berichte seiner vier Fraktionskollegen, die alle in Essen dabei waren, hätten ihn „schockiert und entsetzt“. Matzat spricht von einer „in Teilen fremdenfeindlichen, islamfeindlichen und vor allem nationalen Rhetorik“. Entsprechende Parolen und Schlagworte wie „Pegida-Partei“ haben auch seinen bisherigen Stellvertreter Norbert Grimmer (59) bestürzt. Der Parteitag hat für ihn das Fass zum Überlaufen gebracht: „Mit dieser Art des Umgangs kann ich mich nicht mehr identifizieren. Die Partei schlägt eine andere Richtung ein. Wir betreiben in Ludwigshafen eine wirtschaftskonservative Politik, die ich in der Bundes-AfD nicht wiederfinde.“ Matzat schreckt speziell das neue Führungspersonal auf Bundesebene ab. Parteivize Alexander Gauland ist für ihn ein „Rechtsintellektueller, der zündelt“ und vor allem im Osten Wähler am rechten Rand fischt. Viele Positionen der AfD – wie die zur Homo-Ehe – könne er nicht mehr mittragen, begründet der 42-jährige Rheingönheimer seinen Rückzug nach zwei Jahren. Beigetreten war Matzat der Alternative für Deutschland am 13. März 2013, weil er „als überzeugter Verfechter der europäischen Idee nicht wollte, dass der Euro Europa spaltet“. Die Eurorettungspolitik ist für ihn noch heute „ein Schlag ins Gesicht jedes Demokraten“. Ihre ursprünglichen Hauptziele – „ein besseres Deutschland und Europa mit echter und teilweise direkter demokratischer Willensbildung“ – habe die AfD mittlerweile aus den Augen verloren, kritisiert Matzat. Der Kurs der AfD werde inzwischen immer stärker von deutschnationalen und reaktionären Kräften bestimmt, „voller Ressentiments gegenüber europäischen und atlantischen Partnern bis hin zur Bewunderung für ein durch Putin wenig demokratisch geführtes Russland“, sagt Matzat. „Von der Partei des gesunden Menschenverstands, von der immer die Rede war, die sich weder rechts noch links im Parteienspektrum positioniert, ist nicht mehr viel zu erkennen“, legt der 42-Jährige nach. Matzat betont, er habe bereits seit Dezember mit dem Gedanken gespielt, der Partei den Rücken zu kehren. „Seit der Annäherung an die Pegida-Bewegung. Da hat es angefangen zu bröckeln“, sagt er. Noch vor wenigen Tagen war er davon überzeugt, dass Lucke die Kampfabstimmung gegen Petry gewinnen wird und sich dessen bürgerliche Position behauptet. Nun rechnet Matzat, der bei der Mannheimer Polizei arbeitet, mit einer Austrittswelle. Im Kreisverband haben laut Matzat bereits zehn von ursprünglich 57 Mitgliedern ihr Parteibuch abgegeben. Auch der Landesvorstand hat gestern die Mitgliedschaft in der AfD aufgekündigt. Der von Lucke initiierte „Weckruf“ war für Matzat die letzte Gelegenheit, sich auf die Anfangsideale zurückzubesinnen. „Ich bin allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass diese Rückbesinnung innerhalb der AfD nicht mehr gelingen kann. Zu viele reaktionäre Kräfte und rückwärtsgewandte Zeitgenossen haben mittlerweile das Sagen oder bilden weite Teile der Partei ab.“ Im Stadtrat werde die Fraktion künftig parteiunabhängig zusammenarbeiten, kündigt Matzat an. „Da sind wir uns einig“, bestätigt Grimmer. Sein Job ist jetzt die Übergabe der Geschäftsführung im Ludwigshafener Kreisverband. Matzat will „bis auf Weiteres“ Fraktionschef bleiben. Neben ihm und Grimmer gehören zum Stadtratsquintett Andreas Kühner, Andreas Hofmeister und Oliver Sieh, der auch im Bezirkstag sitzt. Unter welcher politischer Flagge die Fraktion künftig segelt, will sie demnächst konkretisieren. Bei der Stadtratswahl im Mai 2014 holte die AfD acht Prozent der Stimmen. (ier)

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