Rhein-Pfalz Kreis Im Traktor der Lüfte

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Altrip

. Es ist Dienstag um die Mittagszeit, Tag zwei nach dem höchsten Pegelstand des Rheins bei Speyer, Tag 51 seit Beginn der fast pausenlosen Stechmückenbekämpfung durch die kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs) in diesem Jahr. Heute ist unter anderem das Gebiet zwischen der Rheinbrücke in Speyer und der Verbandsgemeinde Rheinauen sowie Mannheim-Rheinau mit der Bekämpfung vom Hubschrauber aus an der Reihe. Gestartet wird von der Kollerinsel in der Nähe der Fähr-Anlegestelle. Dort steht ein Lastwagen, davor einige Männer der Kabs. In blauen Eimern steht das Eisgranulat mit dem Wirkstoff Bacillus thuringiensis israelensis für den nächsten Einsatz bereit. Gerade haben es die Arbeiter durch den Schredder laufen lassen, um die Klumpen zu zerkleinern. Ein lauter werdendes Brummen kündigt die Ankunft des Hubschraubers an. Kurze Zeit später setzt erst der an Seilen befestigte Kübel neben dem Lastwagen auf, dann der Hubschrauber selbst. Zu zweit schleppen die Kabs-Leute acht große Eimer, von denen jeder einen Zentner BTI-Eisgranulat enthält, heran und kippen den Inhalt in den Kübel des Hubschraubers. Nur Minuten später hebt der wieder ab. Ich habe gerade noch Zeit, neben dem Piloten Thomas Förner Platz zu nehmen, den Gurt anzulegen und Kopfhörer aufzusetzen. Mein erster Blick von oben geht über die Kollerinsel. Die tiefer gelegenen Stellen auf der Wiese sind überschwemmt, zum Teil haben sich große Seen gebildet. „Es wird noch schlimmer“, kommt Förners Stimme knatternd aus dem Kopfhörer. „Ich fliege schon seit fast neun Jahren für die Kabs. So massiv überflutet wie jetzt war es selten. Vor allem das Druckwasser auf den Wiesen und Feldern ist problematisch.“ Der Pilot schwenkt nach Osten, fliegt ein Stück den Rhein entlang. Die Uferwege sind überschwemmt, die Bänke stehen im Wasser. Wasser, wohin man blickt. Wir fliegen rund 100 Meter über der Erde – oder dem Wasser eben. Unser Ziel sind die Riedwiesen bei Brühl, die sich in eine Seenlandschaft verwandelt haben. Spannend, denn wir sitzen in einer Plexiglas-Kabine und können in alle Richtungen schauen. Dann geht es los, Ziel erreicht, Zeit, die Ladung aus dem Kübel zu verteilen. Der kleine Bildschirm eines GPS-Gerätes zeigt Förner, wie er fliegen muss. Die Flächen, auf denen das BTI verteilt werden soll, sind orange eingefärbt. Wenn er sie überfliegt, werden sie schwarz, 30 Meter breit kann er das BTI dabei verteilen. „Ich muss die orangenen Flächen ausradieren“, erklärt er. Auf seinem Bildschirm sieht es aus wie ein Flickenteppich. Größere und kleinere orangefarbene Flächen. „Warum?“, will ich wissen, „unter uns ist doch alles voller Wasser.“ Das liege daran, dass nur dort BTI abgeworfen wird, wo die Kabs-Mitarbeiter vorher Schnakenlarven festgestellt haben und das sei nicht überall der Fall. Für uns heißt das: Zickzack-Fliegen. Bei der ersten Wendung rutscht mir der Magen ein Stück tiefer. Oder höher? Für einen Moment verliere ich das Gefühl für oben und unten. Die Türme des Mannheimer Großkraftwerks liegen seltsam quer und seit wann ist eigentlich der Himmel auf der rechten Seite? „Das machst du extra!“, sage ich zu Förner. Der lacht und sagt, dass man Hubschrauber halt so wende. Irgendwie dreidimensional. „Und Finger weg von dem Hebel, der gehört mir“, sagt er vorsichtshalber noch und meint den Hebel zwischen uns. Zwei von der Sorte hat er und zwei Pedale noch dazu. Wir fliegen weiter und radieren orangefarbene Flächen aus. Hin und her. Im Hintergrund hören wir den Funkverkehr des Flugplatzes Mannheim ab, zur Sicherheit, damit uns niemand in die Quere kommt. Ich erfahre, dass ich in einem Hiller UH 12E sitze. Ein amerikanisches Modell, von dem es in Deutschland nicht viele gibt, sagt Förner. Ziemlich alt, aber sehr praktisch. „Das ist der Traktor der Lüfte, er ist leicht, kann aber große Lasten heben.“ Ideal also für den Einsatz bei der Kabs. Den Kübel für das Eisgranulat haben Förner und sein Chef selbst konstruiert. Wir fliegen weiter: hin, hoch, zur Seite kippen, wenden, gerade richten, runter. Oder so ähnlich. Da kann so manches Fahrgeschäft auf dem Brezelfest einpacken. Nach einer viertel Stunde ist die Ladung verteilt und wir machen uns auf den Rückweg. 20 Hektar orangefarbene Flecken haben wir ausradiert. Gegen die Wendemanöver ist die Landung ein Klacks. Ob es mir gefallen hat, will Förner wissen. „Sehr spannend, nur mein Magen braucht jetzt ein bisschen Erholung“, sage ich. Das sei ganz normal, ihm werde es nach langen Arbeitstagen ja manchmal selbst noch flau. Für ihn geht es weiter. Ich spreche mit Arkadiusz Glowaczewski-Werner. Er ist seit elf Jahren Gebietsleiter der Kabs für den Raum Speyer, Otterstadt, Waldsee und Altrip. Sein Kollege von der anderen Rheinseite ist auch da. Er erzählt, dass er und seine Mitarbeiter in den vergangenen Tagen an vielen auf einer Karte festgelegten Stellen Proben aus dem Wasser entnommen und die Schnakenlarven darin gezählt haben. An manchen Orten haben sie nichts nachgewiesen. „Da sind die Larven schon bei der letzten Bekämpfung abgetötet worden“, sagt er. Hauptsächlich dort, wo das Hochwasser während der vergangenen neun Hochwasserspitzen in diesem Jahr noch nicht hingekommen ist, wo es jetzt aber steht, wimmelt es von Schnakenlarven. Schlimm sei es im Angelwald, im Bollenwörth, im Reffenthal und an einigen Stellen in der Verbandsgemeinde Rheinauen. Zwischen Rhein und Deich sei dagegen kaum noch Handlungsbedarf. Glowaczewski-Werner hat alles in eine Karte eingetragen und digitalisiert, als Grundlage für das GPS-Gerät des Hubschrauberpiloten. 168 Hektar Bekämpfungsfläche sind es in seinem Gebiet, 70 bis 80 Hektar rund um Brühl. Inzwischen ist Norbert Becker, wissenschaftlicher Direktor der Kabs, vor Ort. Er fragt, ob die Männer heute eher Schluss machen möchten wegen des Fußballspiels. „Bloß nicht“, sagt einer. „Wir haben schon verpuppte Larven gefunden, die Zeit drängt.“ „Ach ja, Fußballspiel“, sagt Glowaczewski-Werner und winkt lachend ab, „ich habe dieses Jahr noch keinen Feiertag gehabt, bin seit zwei Monaten jeden Sonntag im Einsatz.“ Das Spiel Deutschland gegen Nordirland ist längst angepfiffen, als Förner über Waldsee noch Runden dreht.

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