Rhein-Pfalz Kreis „Alkohol war nur das Ventil“

Schifferstadt

. Gefängnisse haben etwas Einschüchterndes oder Beklemmendes. So auch die JSA Schifferstadt: hohe Mauern in tristem Grau als Symbole für aus den Fugen geratene Leben. Drogen- und Alkoholsucht spielen dabei nur allzu oft eine Rolle. „85 Prozent der zirka 180 Inhaftierten hatten schon einmal Kontakt mit Drogen“, sagt Brigitte Medart, die interne Suchtberaterin der Anstalt. Umso wichtiger sind Angebote wie die Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker (AA). In dieser Woche initiierte die Organisation eine Informationsveranstaltung mit dem Titel „Probleme mit Drogen, was dann?“ in der Schifferstadter JSA. Die Referenten und Betroffenen wollen mit ihren Geschichten den Häftlingen Möglichkeiten zeigen, aus dem Teufelskreis von Drogen und Alkohol auszusteigen. Sie sind auch nicht zum ersten Mal in einer Strafanstalt. Das erste offizielle „Knastmeeting“, so die interne Bezeichnung, fand 1942 im berühmt-berüchtigten Gefängnis von St. Quentin in Kalifornien statt, in Deutschland Ende der 60er. Inzwischen werden hierzulande 102 Gefängnisse von den AA regelmäßig besucht, auch Schifferstadt. 35 Inhaftierte sind in die Mensa gekommen. An der Stirnseite haben Norbert und Murat von den AA, Roswitha von Al-Anon (eine Gruppe von Angehörigen) und Martina Fischer, leitende Psychologin einer Fachklinik in Daun (Eifel), Platz genommen. Eine ganz normale Infoveranstaltung, könnte man meinen, wären da nicht die Wärter oder die Schließgeräusche. „Mein Name ist Norbert. Ich war Alkoholiker und bin heute trocken.“ Auch das „Knastmeeting“ beginnt mit den traditionellen Worten. Nachnamen werden nicht genannt. Gleich am Anfang gibt Norbert zu bedenken, dass die AA zwar Anleitungen und Wissen vermitteln, „doch jeder muss sehen, was er daraus macht“. Heute gehe es ihm gut, erzählt er. Roswitha vertritt die Seite der Angehörigen. Sie bekomme oft zu hören, dass die Angehörigen doch nicht die seien, die Probleme hätten, berichtet Roswitha. Diesem Vorurteil setzt sie ihre Geschichte entgegen. Bewegend und mit teils schockierenden Details erzählt sie vom langsamen Drogentod ihrer Tochter. Da verblasst selbst der jahrelange Alkoholmissbrauch ihres Mannes. Ein Doppelschicksal, das sie rückblickend ohne die Al-Anon-Gruppe nicht geschafft hätte. „Ich habe dort erkannt, dass ich nicht allein mit diesem Problem auf der Welt bin“, sagt sie und ergänzte: „Nicht wenige Angehörige leiden so stark, dass sie selbst krank werden.“ Der 37-jährige Murat legt nach. Ebenso schonungslos berichtet er über seine Drogen- und Alkohol- „Karriere“, die mit 14 Jahren ihren Lauf nahm. Der oft als harmlos abgetane Alkohol am Wochenende führte ihn Jahre später in die Obdachlosigkeit. Seinen Aussagen zufolge standen ihm lange sein Ego und sein Migrationshintergrund im Wege, sich selbst seine Probleme einzugestehen. Stattdessen überspielte er seine Unsicherheiten mit Arroganz und „Du bist cool“-Parolen. Sein Schlüsselmoment hatte er, als er endlich zugab, dass er krank war, erzählt Murat. Halt habe er auch in einer Selbsthilfegruppe gefunden. Schließlich habe er nicht mehr die Schuld bei den anderen gesucht. „Alkohol war das Ventil, der Kernpunkt lag irgendwo anders“, erklärt Murat. Abschließend berichtet die leitende Psychologin Martina Fischer aus ihrer 20-jährigen Erfahrung in der Suchthilfe. Ein Blick in den Zuschauerraum verrät, dass die anfänglich mit Lächerlichkeit und kühler Distanz überspielte Unsicherheit der Inhaftierten inzwischen gewichen ist. Manche Jugendlichen wirken schockiert, andere sind offener und neugierig geworden. Dennoch kommt keine ausgiebige Fragerunde zustande. Der eine oder andere traut sich aber doch. Offensichtlich ist vielen Inhaftierten die Bedeutung eines stationären Aufenthalts in der Klinik nicht klar. „Wir sind doch zum Teil clean, wenn wir rauskommen, was soll ich dann dort?“, wirft ein Häftling ein. Er ist sich wohl der Stolpersteine nicht bewusst, die „draußen“ im nicht geschützten Raum lauern. „Es geht um lebenslanges Lernen!“, gibt Fischer den jugendlichen Häftlingen mit auf den Weg.

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