Pirmasens Ganz unschuldig singen geht nicht

Wie es gute Tradition beim Oratorienchor Pirmasens ist, der die Johannespassion am Sonntag, 30. März, ab 18 Uhr in der Festhalle Pirmasens aufführen wird, haben Horst Heller und Stefan Schwarzmüller im Vorfeld eine Einführung in das Werk gegeben. Sie machte den Zwiespalt zwischen der musikalischen Schönheit und inhaltlichen Verzwicktheit des Werkes sehr deutlich.

Das Johannes-Evangelium ist eben nicht nur Lobpreis Gottes und Schilderung des Lebens und Leidens von Jesus Christus. Wie alle Evangelien ist es vielmehr auch politisches Zeugnis und theologische Kampfschrift. Die Komplikationen vermehren sich dadurch, dass das älteste verfügbare Papyrus-Fragment – bei unbekannter Autorenschaft und in hebräisch geprägtem Griechisch geschrieben – von den Fachleuten recht unscharf auf die Zeit um das erste oder zweite Jahrhundert datiert wird.

Ungeachtet aller anderen theologischen Aspekte hat das Evangelium eine fatale Wirkungsgeschichte, die auf die Formel „Die Juden sind die Mörder von Jesus Christus“ verkürzt werden kann. Ob man der vielleicht zu fein ziselierten Trennlinie zwischen Antisemitismus und Anti-Judaismus folgen möchte, mag dahinstehen. Dass sich das Gedankengut über die antijudaistische Theologie Martin Luthers zum glühenden Lutheraner Johann Sebastian Bach fortsetzt, ist gesichert. Der Nachhall reicht bis heute in die nicht-kanonisierte katholische Pius-Bruderschaft. Horst Heller hatte wohl recht, als er in der Einführungsveranstaltung sagte: „Ganz unschuldig singen geht nicht.“

Das ist mitzudenken, auch wenn es sich bei Bachs Johannespassion, die am Karfreitag 1724 in der Leipziger Nikolaikirche uraufgeführt wurde, unumstritten um eines der großartigsten Werke der Barockmusik handelt. Bis auf wenige Passagen aus dem Matthäus-Evangelium greift Bach auf den Text des Johannes-Evangeliums zurück. Schwarzmüller und Heller stellten den Thomaskantor als sehr wachen, ja, rebellischen Geist dar, der sich seine künstlerische Freiheit auch gegen den konservativen Leipziger Magistrat erhielt. Der machte bis in die Komposition hinein Vorschriften, an die sich Bach aber nicht hielt.

Da ist die gängige „Aufgabenverteilung“ zwischen Rezitativ als eigene Stimme, den Chören, die der jüdischen Obrigkeit Stimme geben und den Arien und Chorälen als Meditation und Andacht der Gemeinde. Dann die Zweiteilung des Werkes: Der erste Teil ist Petrus gewidmet, der seinen Meister bis zum Hahnenschrei dreimal verleugnet, also verrät. Der zweite Teil ist die Geschichte um Pontius Pilatus, die tobende jüdische Menge, die Geißelung Jesu und seine Hinrichtung am Kreuz.

Bis in die Komposition hinein ist die Johannes-Passion „vertonte Theologie“: Die Arien und Rezitative, die von den Chören der Juden symmetrisch gerahmt werden, der Gedanke der Dreifaltigkeit, die sich bis in den musikalischen Satz des Eröffnungsteils hinein verfolgen lässt – das sind nicht nur anekdotische Details, sondern sinnstiftende Elemente von Bachs Johannespassion. Umso mehr, als dem erfahreneren Hörer besonders bei diesem Werk ohrenfällig wird, warum Bach als „der erste Jazzer“ gilt. Der geschulte Hörer neigt nämlich unwillkürlich dazu, den Puls des Werkes auf den „Off-Beat“ des Jazz zu verschieben. Hinzu kommen Details wie chromatische Durchgänge, die man erst sehr viel später in der Musikgeschichte so wieder hören sollte.

Für die Pirmasenser Aufführung konnten namhafte Solisten gewonnen werden. Die Sopranistin Christine Wolff kommt aus Potsdam. Die aus Nünschweiler stammende Altistin Angela Lösch ist seit Jahren gern gesehener Gast beim Oratorienchor, wo sie auch sporadisch als Stimmbildnerin tätig ist. Der Tenor Wolfgang Klose übernimmt in der Aufführung die Partie des Evangelisten. Wieder dabei ist einer der weltweit besten Konzert- und Oratoriensänger: der Bass-Bariton Klaus Mertens, der in der Vergangenheit bei fast allen großen Aufführungen des Oratorienchors mitgewirkt hat. Mertens übernimmt die Christus-Partie und singt die Arien, wie es bei Bach üblich war. Auch der Bass Michael Marz war schon in Pirmasens zu hören. Er wirkte bei der Open-Air-Aufführung von Carl Orffs „Carmina Burana“ im vergangenen Jahr auf dem Schlossplatz mit und übernimmt in der Johannes-Passion die Partie des Pilatus.

Die Gesamtleitung der Aufführung hat Helfried Steckel, der dieses Jahr sein 40. Chorleiterjubiläum feiert.

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