Pirmasens Brillanter Solist, souveränes Orchester

Alle Achtung, das Konzert der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz mit ihrem Dirigenten Karl-Heinz Steffens und dem international herausragenden französischen Bandoneon-Solisten Richard Galliano war ein höchst überzeugender Auftakt für die Pirmasenser Aufführungen im Rahmen des Festivals Euroclassic 2014. Ein bestens aufgelegtes Orchester und ein brillanter Solist haben ihr Publikum in der Festhalle mit souverän gespielter Musik aus der Seele Lateinamerikas netto zweieinhalb Stunden lang bestens unterhalten.

Das Konzertprogramm unter dem Titel „Libertà!“ war einerseits eine ausgedehnte Tour d’Horizon durch die musikalische Welt der Latin-Musik, gleichgültig, ob von nativen Komponisten wie Heitor Villa-Lobos, Luiz Bonfá, Antônio Carlos Jobim, Astor Piazzolla oder „Zugezogenen“ wie Leonard Bernstein, George Gershwin oder Richard Galliano selbst, dem der große Piazzolla selbst den „Weihekuss“ gegeben hatte. Das Konzert war für den aufmerksamen Zuhörer zudem ein Hinweis darauf, wie sehr die lateinamerikanische Musik die Musiken der Welt im 20. Jahrhundert befruchtet und inspiriert hat. Villa-Lobos „Bachanias Brasileiras Suite Nr.2“ haben als freie Anspielung auf Johann Sebastian Bach Satztechniken und Harmonien entwickelt, die unmittelbaren Widerhall in zahllosen Filmmusiken gefunden haben. Die Suite „Orfeu Negru“ von Bonfá und Jobim, in der Bearbeitung von Thomas Zoller, war gar eine originärer Soundtrack zu „Orfeu Negro“, dessen zentrale Melodie sich später als Jazz-Standard im Real Book etablierte. Wie die Gauchos wirklich gehen, durfte man bei Alberto Ginasteras Estancia-Ballet-Musik erfahren. Nicht zu reden von Astor Piazzollas Tango-Musiken, am Freitag der „Herbst“ und der „Frühling“ aus Piazollas „Las Cuatro Estaciones Porteñas“, den persönlichen „Vier Jahreszeiten“ des Argentiniers. Es gab mexikanische Mariachi-Klänge, die ihren Weg bis hin zu Johnny Cash („Ring of Fire) oder Calexico gefunden haben. Schließlich der so fröhliche wie unbekümmerte Eklektizismus eines Leonard Bernstein mit dem „Mambo“ aus der „West Side Story“ oder George Gershwins direkte Hommage in der Kubanischen Ouvertüre. Mal elegische Musik, zumeist aber rhythmisch aufreizende Musik, die direkt auf Motorik und Gefühle der Zuhörer zielt. Eine Musik, die ihre Komplexitäten und Komplikationen technischer wie musikalischer Art stets mit größter Zugänglichkeit kaschiert. Die Staatsphilharmonie hat zudem für dieses Konzertprogramm so ziemlich alles aufgeboten, was ein großes Orchester zu bieten hat: Groß besetzte Streicher und Percussion, Klavier, Harfe, Saxofon. Mal in kompletter Besetzung, mal mit „kleinem Besteck“ als Tango-Orchester. Zudem die nicht selbstverständliche Erfahrung für das Publikum, dass die Musiker mit offensichtlicher Freude bei der Sache waren und nicht, wie man es bei den „klassischen“ Orchestern oft erleben muss, vor dem Konzert in Essig eingelegte Zitronen gegessen haben. Steffens dirigierte präzise und groovig, unübersehbar „mit Hummeln im Hintern“. Richard Galliano zeigte sich als genau der von der Musik entzündete Bandoneon-Solist, als den ihn die Musikwelt zu schätzen und bewundern gelernt hat. Galliano ist nicht einfach „nur“ ein exzellenter Spieler, er ist ein Komponist an seinem Instrument, das im Vergleich zum üblichen Akkordeon so schwer zu lernen und zu spielen ist. Die technischen Schwierigkeiten ahnt man aber eher, als dass man sie als Zuhörer wahrnähme. Galliano ist natürlich ein Virtuose, aber er ist zuallererst Musiker, der seine Musik zum klingen bringt. Die rein technische Meisterschaft ist da nur Mittel zum Zweck und wird nie mit einem „Schaut-her“-Gestus in Szene gesetzt. Solist, Dirigent und Orchester verstanden sich prächtig untereinander. Mit einer ein bisschen anderen Dramaturgie wäre man allerdings auch mit nur einer statt zwei Pausen ausgekommen, zumal der Starsolist im letzten Konzertteil gar nicht mehr zum Einsatz kam. Der herrlichen Musik hat das aber keinen Abbruch getan, genauso wenig wie die Tatsache, dass doch einige Plätze freigeblieben waren. Am Freitag war eben allein in Pirmasens noch so viel anderes geboten, dass sich das Publikum aufteilen musste. Niemand kann an zwei Orten gleichzeitig sein.

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