Pirmasens „Betriebe verzeihen nicht“

Kein Fall ist wie der andere. Da geht es einmal um ein Arbeitszeugnis, das dem scheidenden Mitarbeiter das berufliche Weiterkommen schlicht unmöglich macht – „der Arbeitnehmer bemühte sich, die Arbeit zu finden“, stand da zu lesen. Oder um betriebsbedingte Kündigungen, die nicht mit weniger Arbeit begründet wurden, sondern damit, dass die Anzahl der Mitarbeiter nicht mehr zur Produktivitätskennziffer passe. Die Palette der Möglichkeiten, in einen Konflikt mit dem Arbeitgeber zu geraten, ist groß. Nein, Langeweile komme bei ihnen nie auf, sagt Roland Oechsle, der bei der DGB Rechtschutz GmbH die Arbeitseinheit Mainz mit 25 Mitarbeitern in den Büros Pirmasens, Mainz, Bad Kreuznach und Kaiserslautern leitet – von Pirmasens aus. Die Anzahl der Fälle belegt dies: 900 Verfahren gab es 2013 – eine sehr konstante Zahl, stellt Oechsle fest. Sie wurde bisher nur in Zeiten wirtschaftlicher Krisen, so etwa 2008/09, überschritten, wenn betriebsbedingte Kündigungen zunehmen. Klienten sind Mitglieder der im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten Einzelgewerkschaften, vor allem aus IG Metall (etwa 45 Prozent), Verdi (25 Prozent), IG BCE (15 Prozent) und IG Bau (etwa zehn Prozent). Verfahren kommen je zur Hälfte aus Arbeits- und Sozialrecht. Denn die DGB-Kanzlei vertritt Gewerkschaftsmitglieder in allen Arbeits- und Lebensphasen – in Berufstätigkeit wie in Arbeitslosigkeit und in Rente. Mit Azubis haben die Juristen immer öfter zu tun. Hier vergisst ein Erkrankter, sich umgehend zu melden, dort wird Unterricht versäumt, ein anderer kommt zum wiederholten Mal zu spät. „Wir haben viele junge Leute, die richtig Stress haben wegen Lappalien“, stellt Oechsle fest – die Arbeitgeber versuchten häufiger, den Jungen wegen Nichtigkeiten gleich zu kündigen. Immer unbegründet? Junge Leute, schränkt er ein, kämen womöglich nicht immer gut vorbereitet in das betriebliche Umfeld, so dass es heute viel stärker Aufgabe der Betriebe sei, Orientierung zu geben und Leistungsbereitschaft zu wecken. Dieser Aufgabe dürften sich die Betriebe aber nicht verschließen, findet er. Thema der Berufsanfänger sind dann oft befristete Arbeitsverhältnisse. Wenn ein Sachgrund wie Elternzeit vorliege, sei dies für beide Seiten eine klare Sache, meint Oechsle. Problematischer sei es bei einer Befristung ohne Sachgrund; sie ist bis zu zwei Jahre möglich. Nach wie vor, stellt er fest, würden Berufseinsteiger meist befristet eingestellt. „Noch schlimmer: Gut qualifizierte Leute müssen oft bei Leiharbeitsfirmen anfangen.“ Unternehmen bildeten aus und stellten dann über eine Verleihfirma ein. Mit der Folge, dass diese Mitarbeiter nicht nur weniger verdienen, sondern auch kaum Perspektive haben – eine Rechnung, die für Oechsle am Ende die Gesellschaft begleichen muss. Den „Klebeeffekt“ bei Leiharbeitnehmern hat er kaum bemerkt – im Gegenteil: Sobald ein Auftrag auslaufe, kündigten Verleihfirmen ihren Angestellten oft sofort. Die meisten Klienten sind zwischen 30 und 60 Jahren alt. Häufige arbeitsrechtliche Themen hier: Forderungen auf Arbeitsentgelt, Abmahnungen, Zeugnisse, Kündigungen, betriebliche Altersversorgung. Quer durch Branchen und Hierarchien geht es dabei. Wobei Oechsle Unterschiede im Austragen von Konflikten ausmacht: „Wo viele Krawatten getragen werden, ist meist wenig Toleranz“. Während es auf der Baustelle mal Gebrülle gebe und die Sache vom Tisch sei, werde im Angestelltenbereich anders gekämpft. Oftmals, stellt er fest, sei der angegebene Kündigungsgrund nur der letzte Anlass. Meist sei anderes vorangegangen, etwa ungeklärte Missverständnisse. Dann gebe es einen Pflichtverstoß und das Unternehmen greife zu. Einer Führungskraft, schildert er einen Fall, sei gekündigt worden wegen Arbeitszeitbetrugs: Der Familienvater habe drei Stunden Heimarbeit angeführt, von 16 bis 19 Uhr, sei währenddessen aber beim Einkaufen gesehen worden. Seine drei Stunden habe er zwar gearbeitet, aber unterbrochen durch Kind und Einkauf – was er so zerrissen aber nicht eintragen wollte. Ein Fehler, freilich ein heilbarer. Für den Chef, zu dem der Draht schon vorher nicht gut war, sei nun aber das Vertrauensverhältnis gestört – „Betriebe verzeihen nicht“. Im Sozialrecht geht es um Themen wie Schwerbehinderung, Rentenversicherung, Arbeitslosengeld, Unfallversicherungen, Kranken- und Pflegeversicherung, Reha. Oder um Blindengeld, worüber Oechsle kürzlich mit der Stadt Zweibrücken stritt. Letztlich erfolgreich. Seit 22 Jahren ist der Volljurist für Arbeitnehmer tätig. Verändert hat sich in dieser Zeit, stellt er fest, etwa die Bandbreite der Betriebe: Sie reiche von der modernen Strategie zur Wertschätzung der Belegschaft bis hin zur rein wirtschaftlichen Betrachtung des Mitarbeiters als Kostenfaktor. Dass letzteres nicht die Sichtweise von Roland Oechsle ist, liegt nahe – für seine Tätigkeit müsse man, sagt er, „auch eine gewisse Sicht der Welt haben“. (tre)

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