Neustadt Töne, die Atmosphäre schaffen

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Neustadt. Der erste Abend in der beginnenden Konzertsaison der Klassik-Reihe des „Mandelring Quartetts“ im Neustadter Saalbau wurde am Sonntag zu einem beglückenden Fest von Kammermusik exquisitester Art. Zum ersten Mal stellte sich jetzt das Ensemble in seiner neuen Besetzung vor, mit Andreas Willwohl am Bratschenpult, anstelle des zum Ende der vergangenen Saison ausgeschiedenen Roland Glassl, der diesmal nach der Pause die Stimme der zweiten Viola in Mendelssohns 2. Streichquintett übernahm.

Die Ovationen nach den einzelnen Darbietungen und zum Schluss des Programms waren überwältigend enthusiastisch. Roland Glassl wurde nach 16 Jahren sehr herzlich von Jörg Sebastian Schmidt, dem Vater dreier Quartettmitglieder, Sebastian (erste Violine), Nanette (zweite Violine) und Bernhard (Cello), verabschiedet. Und zwar mit einem Geschenk: seinem musikalischen Stammbaum mit der sauber eingerahmten Ahnengalerie seiner Lehrer und Lehrerslehrer, die mit Antonio Vivaldi und Giuseppe Tartini bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückreicht. Der also Bescherte bedankte sich hörbar gerührt. Soviel zur Stimmung des Abends und nun zur Musik. Die Integrierung eines neuen Mitspielers in ein Streichquartett kann mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Davon gab es diesmal nicht die leiseste Spur zu merken: Andreas Willwohl ist ein brillanter Instrumentalist und Kammermusiker von hohen Graden, der sich in das „Mandelring Quartett“ auf Anhieb optimal einfügte und einfühlte. Und sein Bratschenton ist dem Glassls an kostbarer Klangqualität vergleichbar. Auf dem Programm standen Haydns C-Dur-Quartett (op. 33/3), Ravels einziges Streichquartett (F-Dur) und Mendelssohns B-Dur-Quintett (op. 87): in Aufführungen, die sich zumindest nicht leicht überzeugender und begeisternder vorstellen ließen. Da war alles perfekt: der absolut homogene, stets durchsichtige Ensembleklang und die exemplarisch gezielte Linienführung als Grundlage zum höchst lebendigen, intensiven kammermusikalischen Dialog, die nahtlosen Übergänge, die höchst reaktionsschnell nachvollzogenen plötzlichen dynamischen Wechsel. Apropos Dynamik: die Piano-Kultur des „Mandelring Quartetts“ ist schier verblüffend. Es wird nicht lediglich leise und noch leiser gespielt (oder gesäuselt auf den 16 Saiten, wenn man will), vielmehr verfügt das Ensemble über eine ungemein weit gefächerte Skala raffinierter Tonnuancen und Zwischentöne, die überaus differenziert eingesetzt werden. Ganz besonders kam diese Klangartistik und dieser Ästhetizismus (im besten Sinne) Ravels Quartett zugute, das diesmal stellenweise mit unnachahmlicher spielerischer Grazie daher kam und mitunter (dritter Satz!) durch geheimnisvolle, geradezu entmaterialisierte Farbtöne unverwechselbares Profil enthielt. Zwingende dynamische und klangliche Wirkungen gab es andererseits auch im äußerst elegant, stilvoll und geistreich vorgetragenen Haydn-Quartett und im spannungsreich, mit hinreißend vitalem Schwung und ausladendem Gestus dargebotenen Mendelssohn-Quintett. Das vielleicht Wichtigste aber war die Fähigkeit des „Mandelring Quartetts“ (und Glassls im Quintett), Atmosphäre zu schaffen und Stimmungen erlebbar zu machen, die Musik zum Sprechen zu bringen. So erhielten etwa in Ravels bereits erwähntem drittem Satz und (auch im ersten) die zuweilen bis zur Wildheit gesteigerten Kontrastmomente und Ausbrüche aufregend scharfes Profil. In zwingender Klarheit teilten sich auch Mendelssohns elementare jubelnde Musizierfreude und Haydns Detailfeinheiten mit. Schließlich: die Finali gerieten allesamt zu Virtuosenstreichen von höchsten Graden, und bei den langsamen Sätzen war zu erfahren, was beseelter Instrumentalgesang bedeutet.Als Zugabe erklang das Scherzo aus Mendelssohns erstem Streichquintett in A-Dur (op. 18).

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