Neustadt Glänzende Musik am Karfreitag

In Bestform: Stiftskantorei mit Vokal- und Instrumentalsolisten.
In Bestform: Stiftskantorei mit Vokal- und Instrumentalsolisten.

«Neustadt.» Zwar kein ausgesprochenes Passionsprogramm, aber wunderschön war das, was Simon Reichert mit der Neustadter Stiftskantorei und einem vorzüglichen Instrumental- und Vokalsolistenkreis am Karfreitag in der ausverkauften Stiftskirche musizierte: Barocke Motetten und Kantaten, gipfelnd in der herrlichen Motette „Jesu meine Freude“ Johann Sebastian Bachs.

Am Anfang stand ein Blick in das „Alt-Bachische Archiv“, eine von Johann Sebastian Bach angelegte Sammlung mit Motetten seiner schon vielfach als Musiker tätigen Vorfahren, ergänzt durch zeitgenössische Kompositionen. Im zweiten Teil gab es drei Werke Johann Sebastian Bachs. Diese Gegenüberstellung machte unmittelbar sinnfällig, dass die diesem zur Verfügung stehenden Kompositionstechniken um ein vielfaches komplexer und vielfältiger waren als die seiner Vorgänger, dass dabei aber vielleicht auch manche Schönheit des Einfachen, Schlichten auf der Strecke geblieben ist. Die tadellos, kraftvoll, deutlich und stilgemäß singenden Vokalsolisten – neben etlichen aus dem Chor – waren Alexandra Rawohl, Alt, Zacharie Fogal, Tenor, und Florian Spiess, Bass. Es musizierten Mitglieder des Ensembles 1800, angeführt von dessen Leiter Fritz Burkhardt an der Violine und Christina Hahn mit der Blockflöte, an der Orgel saß Miklós Spányi. Zunächst erklang von Johann Bach die Motette „Unser Leben ist ein Schatten“. Von Anfang an nahm der strahlend volltönend und zugleich durchscheinend leichte Klang der das ganze Konzert über ungemein sicher agierenden Stiftkantorei gefangen. Ihm trat ein solistisch besetzter dreistimmiger kleiner Chor zur Seite, der klar konturiert und ausdrucksstark sang; die Solisten übernahmen die koloraturreichen Teile, so dass ein abwechslungsreiches Klangbild entstand. Alles gelang ebenso wie in der folgenden Motette „Halt, was du hast“ so vorzüglich, dass das Zuhören eine reine Freude, ein Bad in ständig wechselnden Wohlklang war. Ein Solistenquartett aus dem Chor, recht ordentlich singend, trat in dieser Motette dem klanglichen Gesamt der Kantorei abschnittsweise gegenüber, eine wesentliche Rolle spielte das Kirchenlied „Jesu meine Freude“. Und es ist sicher nicht verfehlt, anzunehmen, dass Johann Sebastian Bach bei der Konzeption seiner großen Choralmotette von dieser Komposition seines Vorgängers bewusst ausgegangen ist. Auch in ihr finden sich, in der Stiftskirche wundervoll klanglich verwirklicht, wunderbar leuchtende, strahlende Melodiebögen, warme und milde Harmonien, zügig und sensibel vorgetragen. Es folgte von Matthias Weckmann das Geistliche Konzert „Zion spricht: Der Herr hat mich verlassen“. Schmerz und Trauer, die in Hoffnung münden, werden hier so expressiv und harmonisch herb geschildert, dass Weckmann sich sogar veranlasst sah, in den Noten eigens anzumerken, dass diese oder jene Wendung kein Schreibfehler sei. Diese Information, welche die wie immer sehr interessante und hilfreiche Werkeinführung Simon Reicherts im Programmheft gab, wurde in der herben Streicher-Einleitung sofort sinnfällig. Dieses Stück ist wesentlich kunstreicher als das Vorige, aber auch um einiges spröder und nimmt in den Gesangslinien die Subjektivität der damals neuen italienischen Oper auf. Die drei Solisten machten das vorzüglich. Heinrich Schützens Motette „Unser keiner lebet ihm selber“ entfaltete hingegen ein dichtes, intensives Stimmengewoge. Simon Reichert forderte den Chor mit großen, immer verständlichen Gesten zu expressivem Vortrag auf, Der Satz erfreute durch schöne dynamische Differenzierung. Nun zwei Bachkantaten: die erste, die 1714 für Weimar entstand, „Himmelskönig sei willkommen“ und „Widerstehe doch der Sünde“. Die einleitende Sonata lenkt die Aufmerksamkeit auf die Qualitäten des Instrumentalensembles, welches präzis, bestens intoniert und lebhaft musiziert, und die der Vokalsolisten. Bass Florian Spiess singt solide seine Rezitative, bringt die Arie „Starkes Lieben“ sonor und klar zum Leuchten; Tenor Zacharie Fogal gestaltet seinen Part mit Spannung und intensivem, ernstem Ausdruck, mit energischer, dabei aber immer klangschön abgerundet bleibender Stimme. Alexandra Rawohl gibt die Solokantate „Widerstehe doch der Sünde“ alle Gelegenheit zu glänzen. Ihre erste Arie spinnt sich schier endlos, aber wunderschön fort, zumal hier die Klangbalance zwischen Sängerin und Instrumentalisten besonders gut gelingt. In der abschließenden großen Motette „Jesu meine Freude“ ziehen die Mitwirkenden nochmals alle Register ihres Könnens. Der Chor verwirklicht frappierende dynamische Kontraste, schwingt sich zu hymnischer, immer klarer Klangfülle auf – und alle Interpreten werden am Schluss vom Publikum verdient und ausgiebig gefeiert.

x