Neustadt Die Stunde der Klischees

Heiße Szene: Amir (Patrick Khatami, rechts) hat von Jory (Jillian Anthony) gerade erfahren, dass seine Tage in der Anwaltskanzle
Heiße Szene: Amir (Patrick Khatami, rechts) hat von Jory (Jillian Anthony) gerade erfahren, dass seine Tage in der Anwaltskanzlei gezählt sind. Isaac (Markus Angenvorth) steht zwischen den Fronten.

«Neustadt». Frau weg, Job weg, der Ruf zerstört – am Ende von Ayad Akhtars Stück „Geächtet“ steht der Anwalt Amir vor dem Scherbenhaufen seines Lebens – und das alles nur, weil er, der seit 9/11 größtmögliche Distanz zum Islam hält, seiner Frau und seinem Neffen einen Gefallen getan und die Verhandlung gegen einen terrorverdächtigen Iman besucht hat. Das pulitzerpreisgekrönte Gesellschaftsdrama war am Dienstag als Gastspiel des Tournee-Theaters Thespiskarren im Saalbau zu sehen, weckte allerdings nur verhaltene Begeisterung.

An den Schauspielerleistungen lag das sicher nicht: Besonders Patrick Khatami als Amir überzeugt durch intensives Spiel. Wie er am Ende schmerzverzerrt und schweißnass in sich zusammensinkt, ohne Rücksicht auf seine sonst wie Trophäen gehüteten Designerklamotten zu nehmen, das geht unter die Haut. Jahrelang hat er zuvor gebuckelt, um die Karriereleiter in einer renommierten Anwaltskanzlei zu erklimmen, seine muslimische Herkunft verleugnet, sich gar zum harschen Korankritiker entwickelt. Damit allerdings ist bereits eine erste Konfliktlinie in seiner Ehe aufgezeigt, denn seine Frau Emily (Natalie O´Hara), eine Christin, hat ein ziemlich schwärmerisches Verhältnis zum Islam und lässt sich als Künstlerin gerne von orientalischer Ornamentik inspirieren. Zerstört werden Amirs „glückliche“ Ehe und seine Karriere aber auch noch durch eine Vielzahl weiterer Komponenten, die längst nicht alle in seiner Person liegen. Entscheidend ist dann letztlich ein fehlerhafter Zeitungsbericht, der ihn in die Nähe von islamistischen Terroristen rückt, obwohl er damit überhaupt nichts zu tun hat. Das alles kulminiert bei einem Abendessen, zu dem das Ehepaar den jüdischen Kurator Isaac (Markus Angenvorth) und dessen afroamerikanische Frau Jory (Jillian Anthony) geladen hat, der eine Emilys zukünftiger Geschäftspartner, die andere eine Kollegin und Konkurrentin Amirs aus der Anwaltskanzlei. Sind die Gespräche zunächst noch geprägt von kühler Distanz, aufgesetzter Herzlichkeit mit „Küsschen, Küsschen“ und jeder Menge Pseudointellektualität, so schält sich dann schon bald der explosive Kern heraus und ein zunächst harmloses Gespräch über religiöse Inhalte entwickelt sich zu einem heißen Kampf um Vorurteile und kulturelle Identitäten, bei dem auch noch Amirs Neffe Abe (Mark Harvey Mühlemann), der eigentlich Hussein heißt, ins Spiel kommt. Der wird vom FBI beobachtet, weil er sich angeblich immer mehr radikalisiert. Vielleicht ist damit aber auch ein bisschen zu viel auf einmal hineingepackt. Denn schließlich erfährt man auch noch, dass Emily ein Verhältnis mit Isaac hat. Arg klischeehaft sind die Charaktere doch angelegt, allzu gewollt religiöse, gesellschaftliche, kulturelle und individuelle Probleme zusammengerührt, sodass sich letztlich die Frage aufdrängt, worauf der Autor denn eigentlich hinaus will. Zu guter Letzt schwirrt einem fast der Kopf vor möglichen Fragen. Sind falsche gesellschaftliche Normen das Grundübel? Die unseriösen Medien? Lassen sich Religion und Staat wirklich trennen, wenn religiöse Menschen Teil des Staates sind? Auch das Publikum im Saalbau scheint diese Widersprüche empfunden zu haben, denn der Applaus fiel zunächst etwas zögerlich aus. Schließlich wurden die fünf Schauspieler, deren Leistung tadellos war, dann aber doch mehrfach auf die Bühne zurückgerufen.

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