Neustadt Das ungeliebte Kind

91-62037788.jpg

Die Biotonne stinkt vielen Neustadtern. Doch führt kein Weg an ihr vorbei: Ab 2016 ist sie für jeden Haushalt Pflicht. Der Werksausschuss hat nun das Konzept vorgestellt – in öffentlicher Sitzung. Eine Chance, die einige Bürger nutzten.


Fragen erlaubt – dieses Motto gab Beigeordneter Dieter Klohr (CDU) zu Beginn der Werksausschusssitzung am Dienstagabend im Ratssaal aus. „Wir sind alle Neustadter, und wir sind unter uns“, rief er den etwa zehn Bürgern zu, die das besondere Angebot wahrnahmen: Das Gremium des Eigenbetriebs Stadtentsorgung Neustadt (ESN) tagte ausnahmsweise öffentlich. Anlass war die Biotonne. Gekommen waren vor allem Kritiker: Eigenkompostierer oder Bürger, die wenig Platz haben, noch ein weiteres Gefäß zu stellen. Doch waren auch Stimmen zu hören, die auf den ökologischen Nutzen der Biotonne verwiesen, auch wenn sie ein „ungeliebtes Kind“ sei. Ab 2016 wird die Biotonne für alle rund 22.000 Haushalte in Neustadt Pflicht. Denn: Das seit 2012 geltende Kreislaufwirtschaftsgesetz des Bundes legt gemäß EU-Vorgaben fest, dass kein Bioabfall mehr in der Restmülltonne landen darf. Zwar haben sich einige der noch „biotonnenfreien“ Städte und Kreise gewehrt, aber ohne Erfolg. Hätten es Gebietskörperschaften mit guten Argumenten schon nicht geschafft, wäre Neustadt noch chancenloser gewesen, so ESN-Werkleiter Klaus Klein. Ende 2014 hatte der Stadtrat die Einführung schließlich beschlossen. In den Neustadter Restmülltonnen beträgt der Biomüll-Anteil gut 60 Prozent. Diese verteilen sich auf Gartenabfälle (10 Prozent), Küchenabfälle (26), Speisereste (19) und verpackte Lebensmittel (5). Bei den 2000 Eigenkompostierern geht der ESN nach ebenso stichprobenartigen Analysen davon aus, dass im Schnitt etwa ein Kilogramm Biomüll je Woche in die graue Tonne kommt. Nach der Umstellung rechnet der ESN mit 3000 Tonnen Bioabfall im Jahr. Seien es mehr, sei das umso besser, da kostengünstiger, so Dieter Klohr. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass der Gartengrünschnitt weiter bei der Firma Gerst abgegeben werde. Bislang lieferten die Neustadter pro Jahr und Kopf 89 Kilo Grünschnitt ab. Diesen und das Biomüll-Aufkommen dazu addiert, setzt der Landesabfallwirtschaftsplan ein Ziel fürs Jahr 2025: Bis dahin soll sozusagen jeder Neustadter 170 Kilogramm pro Jahr „liefern“. Aktuell wird die Neustadter Mischung aus Rest- und Biomüll im Müllheizkraftwerk der GML Abfallwirtschaftsgesellschaft in Ludwigshafen verwertet. Die kommunale GmbH, der auch Neustadt angehört, arbeitet nun mit der ebenfalls kommunalen Zentralen Abfallwirtschaft (ZAK) Kaiserslautern zusammen. Sie betreibt ein Biomasse-Kompetenzzentrum. Das heißt: Restmüll, auch aus Stadt und Kreis Kaiserslautern, geht nach Ludwigshafen; Biomüll aus weiten Teilen der Vorderpfalz wird in Grünstadt und Mutterstadt umgeschlagen und soll von den ZAK-Lastwagen auf dem Rückweg von Ludwigshafen mitgenommen werden. Bei der ZAK wird daraus Biogas und Kompost. Wie sich die Biotonne auf die Gebühren auswirkt, kann der ESN derzeit nur schätzen. 2015 sind sie von 79,20 Euro auf 98,40 Euro im Jahr gestiegen, bezogen auf die am häufigsten vertretene 60-Liter-Tonne; unter anderem deshalb, weil mittelfristig ein Defizit von 600.000 Euro auszugleichen ist. Auf „um die 120, 130 Euro“, so Klohr, könnten sich die 98,40 Euro erhöhen. Doch gibt es noch viele Unbekannte. Zwei davon lauten: Welches Angebot nutzen die Bürger und welche Firma übernimmt die Abfuhr? Aber, so Klohrs weitere Prognose: Bei den Abfallgebühren sei Neustadt landesweit am zweitgünstigsten, „und wird im unteren Drittel bleiben“. Ob Ausnahmen vom Anschlusszwang gemacht werden, ist ebenfalls offen. Zum Beispiel für Menschen mit Allergien, die dazu ein ärztliches Attest vorlegen, wie es in Speyer geregelt ist. Dort, so Klohr, sei aber noch nie von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht worden. Er bat um Geduld: Nicht nur bei den Gebühren, auch bei der praktischen Umsetzung werde es nach der Testphase noch Änderungen geben. Das erarbeitete Konzept „ist nicht der Wurf, der bis in die Steinzeit Bestand hat“. (ahb)

x