Neustadt Als der kleine Mann sich hat empört

Die Bauern haben genug von ihren Unterdrückern, und zu ihrem Ideengeber wird ausgerechnet der Gaukler Eulenspiegel (Tommy Schmid
Die Bauern haben genug von ihren Unterdrückern, und zu ihrem Ideengeber wird ausgerechnet der Gaukler Eulenspiegel (Tommy Schmidt, dritter von links).

«Hassloch». Es darf gelacht werden. Vorsorglich weist das „Theater im Hof“ am Freitag schon vor der Premiere zur „Ballade vom Eulenspiegel“ bei der Begrüßung darauf hin, dass man spontanen Heiterkeitsausbrüchen durchaus nachgeben kann. Denn tatsächlich ist das Stück von Günther Weisenborn (1902-1969), obwohl es auf den ersten Blick so volkstümlich daher kommt, keine Komödie, sondern eine ziemlich gewalttätige Moritat. Gelacht wird dann aber trotzdem, denn es hat eben auch viele komische Momente, und die nutzt das spielfreudige Ensemble gut aus.

Weisenborn, der in den 50er und 60er Jahren in einem Atemzug mit Brecht und Zuckmayer genannt wurde, heute aber nicht mehr allzu oft gespielt wird, macht den Possenreißer Eulenspiegel in seinem Stück zum Sprecher der Unterdrückten. Das sind in dieser Zeit die Bauern, die – wie gleich in der zweiten Szene zu erfahren ist – sogar ihre Bräute vor der Hochzeit beim adeligen Herrn abliefern müssen, damit der sehen kann, „ob der Jahrgang geraten ist“. Kai Scharffenberger ist in der Rolle des Truchsessen das Gesicht der Macht, ein zynischer und brutaler Bösewicht von holzschnittartiger Eindimensionalität. Scharffenberger gibt ihn, ganz in Schwarz gekleidet, mit einer lauernden Brutalität, die wirklich Gänsehaut erzeugt – besonders, wenn er immer wieder hervorhebt, dass er „einen Humor“ habe. Zu seinem großen Gegenspieler avanciert der nie um Sprachspielereien verlegene Gaukler Eulenspiegel, dargestellt von Tommy Schmidt, der anfangs eigentlich gar nichts mit den Bauern zu tun haben will, die so wenig Sinn für seinen subversiven Witz haben. Doch auch er hat seine persönliche Unrechtserfahrung zu verarbeiten und empört sich, dass einem einer einfach so auf die Zehen treten kann, wie es der Truchsess am Anfang des Stücks bei ihm ganz wortwörtlich getan hat. So wird er zum wichtigsten Ideengeber der Bauern, die ihre Forderung nach Freiheit in den „Zwölf Artikeln“ formuliert haben. Man merkt daran, falls man es noch nicht ahnte: Wir befinden uns in der Zeit des Bauernkriegs von 1524/25 irgendwo in Süddeutschland, und damit ist auch schon klar, dass die Sache nicht gut ausgehen kann. Weisenborns Drama, das mit vollem Titel „Die Ballade vom Eulenspiegel, dem Federle und der dicken Pompanne“ heißt, ist ein balladeskes Volksstück, das in der lockerer Szenenfolge und dem beständigen Wechsel aus zarten, komödiantischen und didaktisch-propagandistischen Bildern sehr an Brechts „Mutter Courage“ erinnert. Dieser Wechsel ist besonders für die Titelfigur eine große Herausforderung, doch Tommy Schmidt macht seine Sache sehr gut. Man lacht mit ihm, wenn er die Mächtigen verulkt, man fiebert mit, wenn er den Pulverturm des Truchsessen sprengt, und man leidet mit, weil am Ende leider doch alles vergeblich war. Die tragischste Rolle im Stück aber hat das Federle, die aus dem Bauernstand stammende Gespielin des Truchsessen, die sich, nachdem sie anfangs eine eher ambivalente Haltung einnahm, letztlich doch für die Sache der Freiheit entscheidet. Fiona Fuhrer gibt sie auf eine zarte, geradezu ätherische Weise, die verständlich macht, dass hier Eulenspiegels Beschützerinstinkte geweckt werden – auch wenn psychologische Durchdringung ansonsten sicher nicht die große Stärke des Stückes ist. Ganz anders Jasmin Drahonovsky in der dritten Titelrolle, der der „Dicken Pompanne“, der Marketenderin, Wirtin und Hurenmutter, die mit ihrer Schar leichter Mädchen für die Vergnügung der Truchsessischen Landsknechte sorgt. Die „Ludermamme“ ist nicht nur ihrer Körperformen wegen eine pralle Persönlichkeit – sie hat bei aller Selbstsucht und Verschlagenheit doch auch Witz und sorgt für viele Lacher – nicht nur, als sie dem Publikum ihren Po als „wonnige Breitseite des Krieges“ entgegenstreckt. Aus dem 28-köpfigen Ensemble ragen ansonsten auch noch Yannic Stein, Armin Jung und Eric Jedermann als Bauernführer heraus. Jedermann gibt den Dummschussel mit so grandioser Begriffsstutzigkeit, dass man ihm eine Karriere als Comedian nahelegen möchte. Und natürlich hat es auch seinen besonderen Witz, wenn ausgerechnet Armin Jung, von Haus aus protestantischer Dekan, über die Vorzüge des Ablasskaufs räsoniert. Jung, der auch Regie führte, folgt in seiner Inszenierung dabei sehr exakt dem Text und den Vorgaben des Autors. Eine der wenigen Veränderungen betrifft die Rolle der „Singerin“, die hier auf zwei Schultern verteilt ist. Belinda Endres und Marlene Mildenberger sind mit ihren vier über das Stück verteilten Liedbeiträgen neben den drei Titelfiguren die eigentlichen Gesichter der Inszenierung und belegen auch, über was für einen reichen Fundus begabter junger Darsteller(innen) das „Theater im Hof“ durch die Talentschmiede „Märchenbühne“ verfügt. Dass Weisenborns Lieder nicht über die Eingängigkeit der Brecht-Songs verfügen, ist ebenso wenig ihre Schuld wie die der von Tatjana Geiger angeführte Musikerschar. Bühnenbild, Kostüme und Requisiten zeichnen sich wie eigentlich immer beim „Theater im Hof“ durch große Opulenz aus. Das und die große Zahl von Statisten, die fast während des ganzen Geschehens die auf sicher gut 30 Meter gestreckte Bühne bevölkern, sorgt für eine enorme Farbigkeit. Doch die rustikale Bauernschänke, die adretten Rüstungen und die vielen Ausstattungsstücke aus dem Heimatmuseum sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier kein ländlicher Schwank à la „Das Wirtshaus im Spessart“ geboten wird, sondern ein Stück, das einen ganz schön schlucken lässt. Stärker noch als die (historisch verbürgte) Brutalität, mit der die Bauern am Schluss über die Klinge springen, irritiert den heutigen Betrachter dabei die Gewalt gegen Frauen, die hier immer wieder szenisch wie sprachlich ins Bild gesetzt wird. Symbolhaft dafür steht das große Zelt der Pompanne, in der immer wieder Landsknechte mit leichten Mädchen verschwinden. Wer sich also unlängst über das Gedicht Eugen Gomringers empörte, in dem Frauen mit Blumen verglichen werden, ist bei der „Ballade vom Eulenspiegel“ ganz sicher falsch aufgehoben. Termine Sechs weitere Open-Air-Aufführungen gibt es an den kommenden drei Wochenenden, 15./16., 22./23./ und 29./30. Juni, jeweils um 20 Uhr im Hof des „Ältesten Hauses“, Gillergasse 11, in Haßloch. Karten (12/10 Euro) bei Bücher-Friedrich, Langgasse 101, in Haßloch.

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