Quintessenz WM absurd: Dann eben ohne uns!

Noch nicht einmal eine abgespeckte Variante der Regenbogenflagge ist der Fifa genehm.
Noch nicht einmal eine abgespeckte Variante der Regenbogenflagge ist der Fifa genehm.

Wo leben wir denn? Aus Angst vor einer Gelben Karte oder einer Geldstrafe lässt sich der Kapitän unserer Fußball-Nationalelf vorschreiben, was er anziehen darf und was nicht. Und Angst um ihr Leben muss die Mannschaft des Iran haben, die sich geschlossen weigert, die Hymne ihres Landes mitzusingen.

Eines Land, dessen Regime seine demonstrierende Bevölkerung beschießt, foltert und niederknüppelt, weil sie nicht länger das mitmachen wollen, was sich der angeblich so mächtige DFB zerknirscht gefallen lässt: Vorschriften und Maßregelungen, zur Kleiderordnung, zur Meinungsäußerung, zur Lebensweise. Die Parallelen zwischen beiden Vorfällen binnen weniger Stunden sind frappant, die Reaktionen und Haltungen könnten unterschiedlicher nicht ausfallen.

Protest vor dem Auftaktspiel der iranischen Mannschaft gegen England in Katar.
Protest vor dem Auftaktspiel der iranischen Mannschaft gegen England in Katar.

Während die deutschen Fußballer akzeptieren, dass sie noch nicht einmal die Karikatur der Regenbogenflagge im Miniaturformat an einem einzigen Oberarm zeigen können, zwingt ein geschlossenes iranisches Team die heimische Regie, zu improvisieren und das Sendesignal zu wechseln.

Was muss in diesen Helden innerlich vorgegangen sein, wie weich müssen ihre Knie gewesen sein, wenn sie an ihre Familien zu Hause und an ihr eigenes Schicksal dachten? Diese Frage stellt sich nicht nur mit Blick auf die tapferen iranischen Fußballer. Sondern auch in Erinnerung an jene Basketball-Frauenmannschaft, die geschlossen den Hijab abgelegt hat. Oder die iranische Sportkletterin Elnaz Rekabi, die im Finale der Asien-Meisterschaften ohne den Schleier aufgetreten ist und der nach ihrer Rückkehr offenbar Hausarrest auferlegt worden ist.

Andreas Lang
Andreas Lang

Und der DFB? Spricht am Tag nach dem Fifa-Diktat zur Armbinde allen Ernstes von einer „extremen Erpressung“. Ja wie? Ich nehme die Einladung von Kriminellen an? Nichts anderes sind Erpresser nach gängiger Lesart. Ich beuge mich aus Höflichkeit der Hausordnung eines querdenkenden Gastgebers, anstatt für meine Überzeugungen einzutreten und eine solche zweifelhafte Einladung abzulehnen? Was will ich denn auf einer solchen Party? Glaubt irgendjemand allen Ernstes, dass die Fifa eine Uefa-Mannschaft letztlich von der WM ausgeschlossen hätte? Darauf hätte man es doch mal ankommen lassen können, diesen Preis dürften einem Menschenrechte schon wert sein.

Dass Vollprofis vom Format eines Manuel Neuer oder Thomas Müller sollen dem Druck nicht gewachsen sein, eine Gelbe Karte auszuhalten, ist lächerlich. Wenn sie lieber von Grundrechten abrücken als diese zu verteidigen, können sie und ihre Manager vom DFB von ihren iranischen Kollegen viel lernen.

Fußball ist schön, aber dem Fußball darf nicht alles geopfert werden. Fußball-Funktionäre mögen diktieren, wie Kicker auflaufen. Aber aus Gründen der Selbstachtung und der Glaubwürdigkeit sollte, nein: muss unsere Mannschaft, die nicht aus Spaß an der Freud’ ein bisschen kickt, ihrer Vorbildfunktion gerecht werden. Nicht nur vor heimischer Kulisse, sondern auch auf der Weltbühne.

Ein solches starkes Signal der Solidarität brauchen nicht zuletzt die Demonstranten im Iran, die für die Verteidigung ihrer Werte nicht weniger als ihr Leben riskieren. Oder in deren Worten: Zan, Zendegi, Azadi – Frau, Leben, Freiheit.

Die Kolumne

Fünf Redakteure berichten für die RHEINPFALZ über Ludwigshafen. Ihre Erlebnisse aus dem (Arbeits-)Alltag nehmen die Redakteure in der Kolumne „Quintessenz“ wöchentlich aufs Korn.

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