Ludwigshafen „Unrecht regt mich auf“

Maria von Welser
Maria von Welser

Meinung am Montag: Die bekannte Fernsehjournalistin Maria von Welser (71) berichtet heute Abend ab 18 Uhr im Heinrich-Pesch-Haus über Frauen und Kinder auf der Flucht. Ein Gespräch über Reisen in Kriegsgebiete sowie die Bedeutung von Bildung und Armut in Deutschland.

Frau von Welser, Sie haben viele Krisengebiete bereist. Welche Bilder sind dabei hängen geblieben?

Wenn Sie etwa in Afghanistan, Syrien, Libanon, Kongo oder Lesbos in den Flüchtlingslagern waren, bleiben mehr als nur ein paar Bilder hängen. Man erfährt dort berührende Geschichten von Frauen. Und man hört schlimme Geschichten von Kindern, die nachts schreien und einnässen, weil sie die Kriegserlebnisse nicht verarbeiten können. Sie schreiben, dass 3,6 Millionen Frauen und Kinder in Flüchtlingslagern rund um Syrien leben. Was macht deren Situation denn besonders prekär? In den Lagern sind es zu 80 Prozent Frauen und Kinder. Sie leben dort in einer patriarchalischen, also männerdominierten Gesellschaft und für sie sehr schwierigen Situation. So durften viele Frauen nicht zur Schule gehen. Sie können nicht lesen und schreiben. Und wie sollen diese dann ihren eigenen Lebensunterhalt finanzieren? Oder denken Sie an die Kinder. Allein im Flüchtlingslager im Bekaa-Tal müssen 400 Kinder nachts arbeiten. Das heißt, sie gehen nicht zur Schule. Sie lernen nichts, sondern müssen arbeiten. Da wächst eine weitere verlorene Generation heran. Wo kann dabei ganz konkret Hilfe aus Deutschland ansetzen? Man muss die Hilfsorganisationen wie Unicef oder Welthungerhilfe unterstützen. Sie helfen den Menschen vor Ort besser als die Regierungen. Also wäre im Prinzip auch schon eine simple Geldspende hilfreich? Ja. Ein Stück weit ist in Deutschland das Thema Flucht aus dem Fokus geraten. Stattdessen geht es eher um Ängste und Integrationsprobleme. Behindert dieser Wahrnehmungswandel Ihre Arbeit? Nein, ich sehe keine Behinderung. Ich bin berührt, wie viele Menschen, darunter vor allem Frauen, zu meinen Vorträgen kommen. So sind es auch in Deutschland vor allem Frauen, die sich um Geflüchtete kümmern, mit ihnen Deutsch lernen, sie zum Arzt oder zu Behörden begleiten. In Deutschland leben 500.000 geflüchtete Frauen. Ihre Situation ist besonders schwierig – nicht zuletzt wegen des Bildungsniveaus. Was motiviert Sie eigentlich, sich bei Unicef für Menschen auf der Flucht und Frauenrechte einzusetzen? Mich hat schon immer Unrecht aufgeregt und motiviert. Und hier passiert viel Unrechtes. Schauen Sie doch nur bei uns: Wenn man in Deutschland heiratet und Kinder kriegt, läuft man mit beruflichen Ambitionen gegen Gummiwände. Frauen und Mädchen brauchen weltweit Unterstützung. Sie müssen Bildung bekommen. Ich bin überzeugt, dass sich dadurch deren Situation ändern wird. Für viele waren Sie ja der Kopf von „Mona Lisa“: Sind frauenspezifische Blickwinkel in den Medien weiterhin erforderlich? Ja, natürlich. Die meisten Frauen, die Sie im Fernsehen sehen, sind nicht fest angestellt und können daher die Inhalte nicht mitbestimmen. Wir brauchen mehr Frauen in den Medien und in Führungspositionen, damit man ihre Themen und Anliegen hört. Was muss denn noch passieren, damit das Thema Gleichberechtigung und Gleichbehandlung erreicht ist? Viel. Bei uns und weltweit. Ein Beispiel: Elisabeth Selbert ist es in Deutschland zu verdanken, dass der Gleichberechtigungsparagraf 3 im Grundgesetz steht. Trotzdem hat es dann noch 50 Jahre gedauert, ehe Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand war. Es ist ein langer Weg. Frauen müssen sich einbringen. Wenn sie nur zu Hause sitzen, ändert sich nichts. Und weltweit sind die Themen von viel größerer Dimension. Die Situation von Frauen in Flüchtlingslagern und armen Ländern ist das eine. Seit ein paar Monaten sind auch sexuelle Übergriffe in Hollywood in den Schlagzeilen. Haben Sie diese Enthüllungen erschüttert? Mich hat erschüttert, welche Männer da tatsächlich mitgemacht haben. Wo bleibt hier denn die Moral der Männer? Es ist daher richtig und wichtig, dass über diese Vorfälle gesprochen wird. Das muss dokumentiert werden. Solche Dinge müssen schlichtweg verboten sein. Rund ums Heinrich-Pesch-Haus soll übrigens ein sozial gemischtes Quartier für 1500 Menschen entstehen. Hier soll bewusst auch Wohnraum für Menschen geschaffen werden, die es sonst nicht einfach haben – etwa alleinerziehende Frauen. Solche Projekte sind doch sicher ganz in Ihrem Sinn? Ja, das klingt wunderbar. Es ist auch wichtig, dass sich die katholische Kirche ihrer sozialen Verantwortung bewusst ist und ihr gerecht wird. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten … … würde ich die Armut der Kinder in Deutschland angehen. 2,5 Millionen Kinder leben bei uns unterhalb der Armutsgrenze. Sie haben keine Chance und werden später arme Erwachsene. So etwas darf nicht sein. Termin „Kein Schutz – nirgends. Frauen und Kinder auf der Flucht“ – so lautet der Titel des Vortrags, den Maria von Welser heute ab 18 Uhr im Heinrich-Pesch-Haus (Frankenthaler Straße 229) hält. Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (SPD) übernimmt die Begrüßung. Die Veranstaltung ist in das Programm der Stadt zum Internationalen Frauentag eingebettet. Zuhörer sollen sich vorher anmelden: Telefon 0621/5999-162, E-Mail an anmeldung@hph.kirche.org.

Maria von Welser hat viele Flüchtlingslager besucht. Am Herzen liegt ihr vor allem die Situation von Frauen und Kindern. Das Bil
Maria von Welser hat viele Flüchtlingslager besucht. Am Herzen liegt ihr vor allem die Situation von Frauen und Kindern. Das Bild entstand in einem Lager in der Türkei, in der Nähe der syrischen Grenze.
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