Ludwigshafen Rivalen beim Heimspiel

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8 Uhr Niederfeld. 9 Uhr Mundenheim. 10 Uhr Gartenstadt. 11 Uhr Hemshof. Dann Pause. Am Nachmittag geht es weiter. Ob das Stress ist, werktags als Arzt zu arbeiten und wochenends beinahe ununterbrochen auf Wahlkampftour zu gehen? „Einen Stressfaktor sehe ich nicht“, sagt Peter Uebel – und scheint erstaunt über die Frage. Samstags und sonntags zu faulenzen, sei ohnehin nichts für ihn. Ruhelos scheint er, der 52-Jährige, der ins Rathaus möchte. Ganz nach oben. Ruhelos nicht im Sinne von hektisch, sondern von aktiv. Er ist unter anderem Mitbegründer der „Street Docs“, eines niederschwelligen Gesundheitsangebots für sozial Schwächere. An diesem Samstagmorgen steht er vorm Supermarkt in der Leininger Straße. Gartenstadt. Heimspiel. Hier wohnt Peter Uebel, und hier arbeitet er. Bislang als Internist. Bald wäre er gerne Oberbürgermeister. Die kleinen Schoko-Nikoläuse kleben schon auf den Wahlkampf-Flugblättern, die Uebel und seine elf Unterstützer hier an die Menschen verteilen. Auch seine Frau Eva-Maria ist dabei, ebenso Ortsvorsteher Klaus Schneider mit Ehefrau. CDU-Kreisverbandsvorsitzender Ernst Merkel reicht Werbeprospekte in Autos. Peter Uebel hat einen Wahlkampf-Slogan: „Uebel mit ,U’ – gut für LU.“ Der politische Gegner werde ohnehin mit seinem Nachnamen spielen, vermutet der Mediziner. Dem wolle er mit diesem Satz vorausgreifen. Eine Agentur habe den Spruch entwickelt. „Wenn die Menschen darüber diskutieren, ist er gut.“ Vor dem Supermarkt in der Gartenstadt geht es weniger ums Diskutieren. Uebel möchte ausloten, welche Themen die Ludwigshafener bewegen. Deshalb gibt es vier Glasröhren auf einem Tisch. Je eine für Sicherheit, Wohnraum, Sauberkeit und Kita/Schulen. Abgestimmt wird mit dem Tischtennisball. Was ist den Bürgern besonders wichtig? Bereits kurz nach 10 Uhr geht „Sicherheit“ klar in Führung. „Gibt’s Lauchsuppe heute?“, fragt Uebel die Dame, die ihn eben mit einem freudigen „Guten Morgen, Herr Doktor!“ begrüßt hat. Uebel hat die Waren im Einkaufswagen gesehen, möchte locker ins Gespräch kommen, bekannt werden – was in der Gartenstadt kaum notwendig ist. Viele seiner Patienten leben hier und schätzen ihn. So wie die ältere Frau, die ihn auf eine gastroenterologische Untersuchung in der Vergangenheit aufmerksam macht. Sogar an das Jahr erinnert sie sich noch. Inzwischen: der fünfte Tischtennisball für „Sicherheit“. Nach seinen ersten Runden durch die Stadtteile möchte Uebel Anfang 2017 die CDU-Ortsverbände besuchen. Schon jetzt spricht er von einer „unheimlich positiven Stimmung“, die ihm entgegenschlage. „Richtig angenehm.“ Der „Herr Doktor“ ist mit Wintermantel und Schal unterwegs, hat Flugblätter in der Hand. Kalt ist es an diesem Morgen. Für die Wahlkampfhelfer gibt’s warmen Tee. „Das finde ich ja toll, dass sie das machen“, sagt ein Mann zum CDU-Kandidaten. Eine Frau weiß nicht, ob sie nun glücklich oder traurig sein soll. Immerhin sei sie seit über 18 Jahren Uebels Patientin. Falls er die Oberbürgermeister-Wahl im kommenden Jahr gewinnt – so viel ist klar – wird er seinen Beruf als Mediziner zumindest vorübergehend aufgeben müssen. Mit so manchem kommt der Internist intensiver ins Gespräch. Da ist es auch egal, dass im Einkaufswagen eine Packung tiefgefrorener Rahmspinat taut. Ein Mann mit Rollator, der Pfandflaschen abgeben möchte, fragt: „Sind Sie nicht mehr in der Praxis?“ Uebel geht mit einer Frau zum Tisch mit den Glasröhren und möchte wissen: „Wenn Sie OB wären, was würden Sie sagen, ist besonders wichtig?“ Tischtennisball Nummer acht für „Sicherheit“ rollt die Röhre hinunter. „Warum Sicherheit?“ „Weil genug passiert“, ist ihre Antwort. Uebel ist nicht laut, an diesem Samstag vorm Supermarkt. Aber er geht offensiv mit Handschlag auf die Menschen zu. Er lächelt viel. 11 Uhr. Es geht weiter. In den Hemshof. „Zu viele Kneipen“; „Metzger fehlen, Bäcker, Kontaktbeamte“; „schlechtes Image“ – in der Pizzeria Enzo in der Valentin-Bauer-Straße wird schnell deutlich, wo in West der Schuh drückt. Man muss nur die an Stellwände gepinnten Kärtchen ablesen. „Pflege der Grünanlagen“ oder „Taktzeiten der Busse“ steht auch drauf – und darüber die Frage: „Was ist schlecht und muss besser werden?“ Die Stellwände haben zwar Rollen, sind aber groß und sperrig. Das Lokal ist mit 50 Gästen voll besetzt. Es geht eng zu. Die Wirtin schwingt artistisch die Hüften, um Pasta, Rotwein und Pils möglichst unfallfrei zu servieren. Inmitten der fleißig Kärtchen schreibenden Arbeitskreise: Jutta Steinruck. Im dunklen Kostüm und mit der Ankerkette um den Hals, die ihr bei der offiziellen Nominierung im Kulturzentrum Das Haus als Glücksbringer von der Partei überreicht wurde. Doch anders als am Abend des 23. September wird hier keine „Jutta-Party“ gefeiert. Die Atmosphäre erinnert eher an einen Volkshochschulkurs. Nüchtern und konstruktiv – so wollte es Steinruck. „Ich will die Menschen nach ihrer Meinung fragen, ihnen zuhören und keinen politischen Frontalunterricht geben“, sagt die 54-Jährige. In 16 Stadtteilforen hat die Europaabgeordnete 4415 Ideenkarten gesammelt, die bis Sommer in ihr Programm einfließen sollen. 830 Ludwigshafener sind laut SPD zwischen 18. Oktober (Nord/Hemshof, 80 Gäste) und 15. Dezember (Oppau, 45) der Einladung der Genossin gefolgt, haben innerhalb von relativ straff strukturierten zwei bis zweieinhalb Stunden Probleme benannt, Dampf abgelassen, aber auch aufgeschrieben, was sie im Ortsbezirk oder in der Stadt erhaltenswert finden, wie den Ebertpark, das Bliesbad, Film- und Straßentheaterfestival. Oder: Welche Visionen sie für Ludwigshafen und ihren Stadtteil in zehn bis 20 Jahren haben. „Fußgängerzone Valentin-Bauer-Straße“; „Öffnung Bayreuther Straße“; „attraktive Innenstadt“; „Multifunktionshalle“ – unter anderem damit sind die blauen Zettel auf einer weiteren Stellwand am 5. Dezember in West beschrieben – der mit 4500 Einwohner kleinste Stadtteil, wo das 14. SPD-Forum läuft. Steinruck ist im Viertel aufgewachsen, hat die benachbarte Bliesschule besucht und ist hier noch immer stark verwurzelt. Das merkt man bei ihrem Heimspiel. Im rustikalen Ambiente des Ristorante ist sie nicht die feine OB-Kandidatin, sondern eine unter vielen. Kein Wunder: Steinruck war Mitbegründerin und zehn Jahre lang Vorsitzende der Interessengemeinschaft West, die inzwischen ihre Mutter Karola leitet. „Das war mein Weg in die Politik“, sagt sie. Dieser führte die Gewerkschafterin 1996 in die SPD, zehn Jahre lang in den Ludwigshafener Stadtrat, drei Jahre lang in den Mainzer Landtag und schließlich 2009 ins Europäische Parlament. Doch Brüssel und Straßburg sind an diesem Abend weit entfernt. In West geht’s – wie in den meisten anderen Stadtteilen auch – um ganz konkrete und manchmal auch um ganz profane Dinge: die häufig vermüllten Straßen, das Thema Sicherheit oder den lärmenden Verkehr. Der Bürgertreff, eine Anlaufstelle für alle Westler, liegt nur einen Katzensprung entfernt. Die Spelunken gegenüber sind inzwischen polizeibekannt und für Anwohner bisweilen eine Zumutung, weil bis frühmorgens gezecht wird. „Hausaufgaben“, die Steinruck mitnimmt und nun abarbeiten will. Manche hat diese Art des leisen Austauschs überrascht, andere irritiert. Doch Steinruck will das Prozedere auch nach einem möglichen Wahlsieg beibehalten, betont sie. „Ich bin froh, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe. Ich will, dass die Menschen bei der Gestaltung von Ludwigshafen aktiv mitarbeiten.“ Mit Peter Uebel verbindet sie übrigens die gemeinsame Zeit im Mannheimer Kurpfalz-Gymnasium. Beide kennen und schätzen sich. Und das soll auch weiter so bleiben. „Das ist ja kein Krieg, sondern ein Wettbewerb um die besten Ideen“, sagt Steinruck.

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