Ludwigshafen Risikofreude gehört dazu

Ihr Elternhaus steht im Ludwigshafener Stadtteil Edigheim und sie kommt immer wieder gern dorthin zurück, zu Besuch oder zum Übernachten, wie zuletzt beim Choreografiewettbewerb „No Ballet“ im Theater im Pfalzbau. Bärbel Stenzenberger war unter den Nominierten die einzige deutsche Choreografin. Bis ins Finale kam sie nicht, aber das ist sie gewöhnt. Sie war bei Wettbewerben schon mehrfach ganz vorn und hat dann doch keinen Preis bekommen. Mit ihrer Karriere ist sie dennoch sehr zufrieden, und die ist schon ziemlich lang.

Der Vater, ein bildender Künstler, arbeitete als Restaurator in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen. „Ich bin im Atelier groß geworden“, erzählt sie gern, „habe mich oft verkleidet und vor dem Spiegel Gesten und Grimassen gemacht.“ Als dann eher zufällig eine Tanzbegabung entdeckt wurde, stand für ihre Mutter, die selbst einmal davon geträumt hatte, Ballerina zu werden, felsenfest: Die Tochter ist für die Bühne bestimmt. Sie meldete sie in der Vorschule der Akademie des Tanzes in Mannheim an. Unter der Leitung von Jean Wallis war die Akademie gerade dabei, sich von ihrem Niedergang zu erholen. Bärbel Stenzenberger erhielt eine so gute Schulung, dass sie bei der Bewerbung für eine Akademie gleich dreifach erfolgreich war: Mannheim, Frankfurt und die Folkwangschule. Sie entschied sich zuerst für diese und studierte ein halbes Semester bei Pina Bausch in Essen. „Schreien, das Haar schütteln, Port de Bras konnte ich und das Improvisieren lag mir. Aber ich wollte lernen, was mir fehlte: klassische Disziplin. Ich wollte ein großer Star werden und dafür ein breites Fundament aufbauen.“ So verließt sie Essen wieder und ging zur Ausbildung nach Frankfurt. Danach tanzte sie acht Jahre lang im festen Engagement in Mainz, in Hof an der Saale und in Gelsenkirchen. Die Kompanien in Gelsenkirchen und Wuppertal fusionierten zum Choreografischen Zentrum. Sie lernte dort viele kreative Tänzer und Choreografen kennen und entschloss sich, frei zu arbeiten: „Ich bin spontan risikofreudig und will immer etwas Neues ausprobieren.“ In Hof wurde ihr erster Sohn geboren; er ist heute auf dem Weg, Schauspieler zu werden; in Gelsenkirchen kam ihr zweiter Sohn zur Welt. Die Großmutter war immer zur Stelle, wenn sie intensiv gebraucht wurde. Vor jeder Premiere kam sie aus Ludwigshafen, um die Enkel zu betreuen. Nach zwei Jahren in der freien Szene arbeitete Bärbel Stenzenberger wieder fest in Bonn und startete, was sie ihre zweite Karriere nennt. Sie hatte eine zusätzliche Sprechausbildung gemacht und war in Musical-Produktionen sehr gefragt. In Bonn ist sie schließlich in der freien Szene hängen geblieben. Dort arbeitete sie auch mit Eric Trottier zusammen, der jetzt wieder in Mannheim ist. „Wir sind ein Alter und treffen uns immer wieder“, sagt sie. Zum Tanzen nach Ludwigshafen kam sie mit Juliane Rößler. Diese hatte gerade den Wettbewerb „No Ballet“ auf den Weg gebracht und wollte sich mit ihrer Choreografie „Beethovens Neunte“ im Theater im Pfalzbau vorstellen. Sie nahm Bärbel Stenzenberger in die Projektkompanie auf. Dort traf Bärbel Stenzenberger Olaf Reinecke, der schon in der Lübecker Premiere getanzt hatte. Seitdem sind die beiden ein Paar und haben ihr Label „bokomplex“ gegründet: Bei diesem entsteht ein recht komplexes Angeboten künstlerischer Aktivitäten, darunter zwei abendfüllende Tanzstücke pro Jahr, kürzere Produktionen, oft auch Auftragsarbeiten für bestimmte Orte wie Ausstellungsräume oder Museen, Musiktheater für Kinder und vielerlei mehr. „Wir suchen immer wieder nach neuen Betätigungsfeldern“, erläutert Bärbel Stenzenberger, „aber am liebsten ist uns der Tanz. Die Choreografie muss authentisch sein, damit sie für Tänzer und Zuschauer Bilder freigibt.“ Olaf Reinecke wurde erst mit 27 Jahren professioneller Tänzer und hat eine ganz andere Ausbildung. Klassisches Ballett lehnt er kategorisch ab: „Ich will nicht nur zum Stützen der Ballerina da sein“, witzelt er. Sie ergänzen einander perfekt und erklären launig: „Auch als alternde Tänzer halten wir uns frisch mit Finanzwesen und Buchhaltung.“ Gemeint ist der endlose Papier- und Mail-Krieg, dem man sich als Freischaffender stellen muss. Er schreibt, sie telefoniert. Sie hat „das Chaos im Kopf“ und macht die Konzepte. Er schreibt diese „ins Reine“ und kümmert sich um die Buchführung. Bei „No Ballet“ im vergangenen November hatten sie Pech, weil die Technik nicht klappte und sie deshalb aus Nervosität unter ihrer Höchstleistung blieben. Darüber waren sie ein bisschen enttäuscht. Was viel mehr für sie zählt, waren aber „die Begegnungen mit den vielen interessanten Künstlern“.

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