Ludwigshafen RHEINPFALZ-Report (4): Kein Platz für Flüchtlinge?: „Glücklich bin ich hier nicht“

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Seit Beginn des Syrien-Konflikts 2011 sind fast sieben Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden. Fast drei Millionen flüchteten ins Ausland – meist in Nachbarstaaten wie Jordanien und den Libanon. Nach Europa schaffen es nur die wenigsten. Wir haben mit einem von ihnen gesprochen: Muhammad Al-Ali aus Rakka.

Die Geschichte von Muhammad Al-Ali ist ungewöhnlich. Sie beginnt im ukrainischen Lwiw (Lemberg) und ist damit nicht gerade das, was man als „typisches syrisches Flüchtlingsschicksal“ bezeichnen würde. Aber was ist in Zeiten von Chaos und Zerstörung schon normal? Wie viele seiner Landsleute hat der 27-Jährige die Flucht nach Europa auf sich genommen, weil ein Leben in der syrischen Heimat für ihn unter den momentanen Umständen nicht vorstellbar ist. Seine Reise hat nur einen anderen Ausgangspunkt gehabt als die der meisten. Er ist Anfang 2014 nicht über das Meer nach Italien oder Griechenland gefahren, sondern hat sich zu Fuß, mit Bus und Bahn über Polen nach Deutschland durchgeschlagen. Der Grund dafür ist schnell erklärt: Als der Konflikt in Syrien 2011 begann, lebte Al-Ali bereits seit einigen Jahren in der Ukraine. Er studierte Pharmakologie an der Universität von Lwiw und machte 2012 seinen Master. Eigentlich sah sein Plan vor, danach in die Heimat zurückzukehren, um dort ein gutes Leben zu führen. Nur aus diesem Grund hatte sich Al-Ali überhaupt für ein Studium in der Fremde entschieden. „Ärzte und Apotheker sind in Syrien gut angesehen, diese Berufe haben Prestige“, erklärt er. Dass aus der Karriere trotz des erfolgreichen Studiums nichts wurde, hat Al-Ali laut eigenen Angaben vor allem seinem politischen Engagement zu verdanken. Als der Konflikt in der Heimat ausbrach, ging er mit syrischen Kommilitonen in der Ukraine auf die Straße, um gegen Assad zu demonstrieren. Bilder davon tauchten bei Youtube auf und irgendwann bekam seine Familie in Rakka Besuch. „Sie wurden bedroht“, erinnert sich Al-Ali. „Assads Leute haben gesagt, dass ich aufhören soll. Aber wie kann man aufhören, wenn man an eine Idee glaubt? Wir wollten Freiheit, wie die Menschen in Ägypten und Tunesien. Und was haben wir bekommen Nach aktuellen Schätzungen sind in Syrien seit 2011 bei Gefechten zwischen Assads Armee, Revolutionsgarden, Al Kaida, Islamischem Staat (IS) und etlichen anderen Interessengruppen mehr als 200.000 Menschen ums Leben gekommen. Fast sieben Millionen sind auf der Flucht, bei einer Gesamtbevölkerung von rund 23 Millionen. Ganze Städte liegen in Schutt und Asche und der IS hat im Norden des Landes eine Terrorherrschaft errichtet. Für die meisten Europäer sind das abstrakte Zahlen, Al-Ali verbindet damit konkrete Ereignisse: Zwei Onkel hätten in der Armee gedient und seien als Deserteure hingerichtet worden, erzählt er. Seine Familie habe sich in alle Winde zerstreut – die Mutter lebt mit den jüngeren Geschwistern in der Türkei, der Vater verdient in Saudi-Arabien das Geld und ein Bruder ist nach Schweden geflüchtet. Al-Alis Heimatstadt Rakka wurde erst von Revolutionären eingenommen, dann von Assads Bombern angegriffen und schließlich vom IS erobert. Heute ist sie die „Hauptstadt“ des sogenannten Islamischen Staats. Von Freunden, die noch da sind, weiß Al-Ali, dass das Leben dort sehr gefährlich ist. Eine Rückkehr in dieses Umfeld kann er sich nicht vorstellen, in der Ukraine wollte er aber auch nicht bleiben. Bereits 2012 lief seine Aufenthaltsgenehmigung ab, und weil auch der syrische Pass verfallen war hatte er keine Papiere mehr. „Ich war bei der Botschaft“, berichtet Al-Ali. „Die haben gesagt, ich muss nach Syrien reisen, um einen neuen Pass zu bekommen.“ Da er wusste, dass er dem Assad-Regime aufgefallen war, ließ er das aber lieber sein und entschied sich nach zwei weiteren Jahren in der Ukraine zur Flucht nach Westeuropa. „Ich wollte arbeiten und mich weiterentwickeln“, erklärt er den Grund dafür. „In der Ukraine gab es aber keine guten Zukunftsaussichten für mich. Deshalb musste ich dort weg.“ Im Frühjahr 2014 brach Al-Ali zu Fuß auf, um die Grenze nach Polen – und damit die zur EU – zu überschreiten. Mit Bus und Bahn fuhr er über Warschau und Posen bis nach Berlin. Den Asylantrag reichte er in Bielefeld ein und wurde von da nach Trier geschickt. Im dortigen Auffanglager verbrachte er zweieinhalb Monate und kam anschließend nach Ludwigshafen. Insgesamt dauerte es nur vier Monate, bis Al-Ali eine Aufenthaltsgenehmigung in den Händen hielt und aus der Sammelunterkunft im Rheingönheimer Rampenweg ausziehen konnte. Seitdem arbeitet der 27-Jährige mit Hochdruck daran, sich eine Existenz aufzubauen. In gerade mal einem Jahr hat er genug Deutsch gelernt, um auch schwierige Unterhaltungen führen zu können. Außerdem weiß er genau, welche Schritte er noch gehen muss, um mit seinem ukrainischen Abschluss in Deutschland als Apotheker zugelassen zu werden. Der entsprechende Sprachkurs ist gebucht, das mehrmonatige Praktikum in einer Apotheke fest eingeplant. Al-Alis bisheriges Urteil über seine neue „Heimat“ fällt positiv aus. Er glaubt, dass er in Deutschland gute Chancen hat, voranzukommen. Mit der Reserviertheit der Deutschen tut er sich zwar gelegentlich etwas schwer und erzählt schmunzelnd, dass es in der Ukraine einfacher gewesen sei, die neuen Sprachkenntnisse an Einheimischen zu erproben. Trotzdem fühlt er sich in Ludwigshafen wohl. Glücklich ist er hier aber nicht. „Wie könnte ich das, wenn ich doch eigentlich ganz woanders sein will?“, fragt er. Deshalb ist es ihm auch wichtig, eines klarzustellen: Er will nicht bleiben. „Ich will hier gern in Freiheit leben, ohne Angst haben zu müssen“, sagt er. „Ich will mich weiterbilden, neue Ideen und Gedanken sammeln.“ Aber eines Tages will er all diese Kenntnisse und Erfahrungen mit zurück in die Heimat, nach Syrien, nehmen. Nur wann das sein wird, kann er nicht sagen: „Ich fürchte, dass es noch eine ganze Weile dauert.“ MEHR ZUM THEMA

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