Ludwigshafen „Ich bin im Wald aufgewachsen“

Kommt nach Mannheim: der Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff (83).
Kommt nach Mannheim: der Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff (83).

Interview: Sein erster langer Dokumentarfilm heißt „Der Waldmacher“ und spielt in Afrika. Das hat man von dem Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff nicht erwartet. Vor dem Start sprach er mit Andrea Dittgen über Bäume, Landwirtschaft und Tony Rinaudo.

Wie viele Bäume haben Sie denn in Ihrem Garten in Griebnitzsee?
(Er lacht) Ich habe ungefähr 20 Bäume, davon drei, bei denen man zu dritt sein muss, um sie zu umfassen. Riesige Buchen, die sind ungefähr 120 Jahre alt. Ich bin im Wald aufgewachsen, im Taunus. Wir hatten ein Holzhaus im Wald. Bäume sind mir also vertraut, aber das war nicht der Grund für den Film.

Wenn man allerdings von klein auf eine besondere Beziehung zu Wald und Bäumen hat …
Und zu Bauern. Das war in Hessen, da waren Kuhdörfer und Kuhbauern, wie wir das genannt haben. Aber nur deshalb, weil die nur eine Kuh hatten. Die sollte Milch geben und noch den Wagen ziehen. Ich habe vor vielen Jahren einen Spielfilm darüber gemacht: „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Krombach“ von 1971 über die Bauern im 19. Jahrhundert und über die Auswanderung. Das war kurz bevor Edgar Reitz „Heimat“ gemacht hat. Deshalb war mir das so bewusst, als ich die Bauern in Afrika gesehen habe. Im Grunde haben so die Bauern bei uns vor 200 Jahren gelebt. Sie konnten auch nicht mehr von ihrem Land leben und sind ausgewandert in die Neue Welt.

Wie haben Sie Tony Rinaudo, den Waldmacher, den sie nun porträtiert haben, denn kennengelernt?
Ich hatte keine Absicht, einen Dokumentarfilm zu machen. Ich bin einer Einladung gefolgt, da hieß es: Da ist ein australischer Agronom, er hat letzte Woche in Stockholm den alternativen Nobelpreis für seine Arbeit bekommen, er hält einen Vortrag in Berlin. Neugierig bin ich da hin und war vollkommen begeistert von Tony Rinaudo, seiner Persönlichkeit und auch von dieser Methode, abgehackte und abgestorbene Bäume wieder durch ihre Wurzeln wachsen zu lassen. Das ist ja das Ei des Kolumbus! Nach dem Vortrag bin ich zu ihm hingegangen und habe gesagt: Sie haben sicher Tausende von Jüngern, die das rund um die Welt verbreiten. Er sagte: Ich bin meistens allein wie ein Wanderprediger. Da fragte ich ihn, ob ein Film da helfen könnte, das bekannter zu machen. Einen Monat später war ich auf Probe mit ihm in Afrika, in Bamako in Mali. Danach habe ich ihn auf vielen Reisen begleitet.

Es hat schon 2018 in Berlin begonnen?
Im Dezember 2018. Ende Januar 2019 war ich in Mali. An Weihnachten war meine Frau gestorben. Ich konnte mir keine bessere Trauerarbeit vorstellen, als nach Afrika zu fahren und etwas ganz Neues anzufangen. Niemand konnte vorhersehen, dass es drei Jahre dauert. Die Dreharbeiten sind durch Covid immer wieder unterbrochen worden. Erst war Tony ein bisschen skeptisch, dann war unser Vertrauensverhältnis so, dass er kein Problem damit hatte. Er kam morgens aus dem Bett und wurde gleich verkabelt mit dem Mikrofon. In seiner Art, mit den Menschen zu reden, ist er so überzeugend, dass man auch akzeptiert, dass ein alter weißer Mann Weisheit nach Afrika bringt.

Im Prinzip ist das, was Tony Rinaudo macht, in zwei Minuten erklärt ...
So ist es.

Es ist kein reiner Dokumentarfilm, es gibt auch eine Episode, die nicht von Ihnen ist: eine Animation.
Ich habe schnell gemerkt, dass in zehn Minuten alles wissenschaftlich erklärt ist. Dann geht es ums Menschliche. Da habe ich mich wohlgefühlt, denn es hat fast wieder etwas Spielfilmartiges, wenn Tony mit den Bauern unterm Baum sitzt. Wenn die Frau mit ihren Kindern Schulaufgaben macht. Wenn der Lehrer bei Kerzenschein mit den Kindern die Kontinente durchgeht. Da habe ich Gelegenheit, ein anderes Bild von Afrika zu zeigen: die Freundlichkeit, die Lebensfreude und die Vitalität.

Zurück zu der Animation bitte ...
Ich bin fast überall allein hingefahren und habe vor Ort einen Kameramann und einen Tonmann gesucht. Zu dritt waren wir dann das Team, ich habe die zweite Kamera gemacht. Dadurch kam ich mit afrikanischen Filmemachern in Kontakt und habe mir angeschaut, was sie machen. Ich habe einen Film gesehen, „Das Lob der Hirse“, mit wunderbaren Animationen, die von einer Frau aus dem Volk der Tuareg gemacht wurden. Da dachte ich, das ist eine tolle Art, den wissenschaftlichen Teil zu bebildern. So bin ich mit ihr in Verbindung getreten. Sie hat gesagt: Du müsstest mir zeigen, wie das aussehen soll. Also habe ich das gedreht mit einem Darsteller und einem Auto in der Wüste. Das habe ich ihr geschickt. Es war eine schöne Kollaboration. Und noch ein paar Sachen von afrikanischen Regisseuren sind im Film. Damit war ich beim Essay. Ich weiß nicht, ob Essay das richtige Wort ist. Es ist eher etwas Unaufgeregtes, Nachdenkliches. Ich habe nicht die Antwort auf die Fragen in Afrika.

Aber Sie waren doch vorher schon oft in Afrika, etwa in Ruanda, dem Partnerland von Rheinland-Pfalz?
Ja, da habe ich eine Filmschule mit aufgebaut. In Burkina Faso habe ich etwas über Reisanbau und landwirtschaftliche Kooperativen gedreht, im Senegal etwas über junge Leute. Aber das sind Feuilletonbeiträge gewesen, 15 oder 20 Minuten lang. So richtig mit Afrika auseinandergesetzt habe ich mich erst mit diesem Film.

Als ich Ihren Film sah, musste ich an die Dokumentarfilme von Werner Herzog denken: Man sieht Sie und man hört auch Ihre markante Stimme. War Herzog ein Vorbild?
Der Werner ist seit fast 55 Jahren ein guter Freund. Ich habe ihm den Film gezeigt, er hat ihm gefallen. Seine Filme und auch die von Hubert Sauper sind natürlich meine Vorbilder gewesen. Aber man kann Herzog nicht nachahmen. Ich musste schon meinen eigenen Weg finden. Ich bin vielleicht weniger auf bizarre Auswüchse aus.

Sie gehen jetzt auf Tour mit Ihrem Film. Es sind über 30 Termine, das haben Sie noch nie gemacht!
43 Kinos in 30 Städten. Es ist aus der Not geboren. Im Augenblick ist die Situation der Kinos, gerade der Arthouse-Kinos, sehr schlimm und wird sich noch verschlimmern, denn die Corona-Hilfen fallen jetzt weg. Und das Publikum ist auch weg. Und es ist nicht sicher, ob es wiederkommt. Wenn man jetzt überall hinfährt, ist das eine Unterstützung von jedem einzelnen Kino: der Kinobetreiber als Kleinbauer.

Und Sie sind der Tony Rinaudo der Kinos…
Ja. Wir haben mit dem Verleih lange überlegt. Warum gehen immer weniger Leute ins Kino? Die Älteren, die ins Kino gingen, gehen jetzt nicht mehr, weil sie gelernt haben, wie man mit dem Internet und dem Streaming umgeht; den Gang zum Kino haben sie wiederum verlernt. Es gibt eigentlich nur eins: die Pumpe wieder zum Ansaugen bringen. Man muss hinfahren!

Volker Schlöndorff als Lockvogel? Es ist anstrengend, jeden Abend kommen dieselben Fragen ...
Die Fragen sind immer dieselben, aber es gibt immer andere Reaktionen. Es wird ja auch mehr ein Gespräch als ein Frage-Antwort-Spiel. Die Antworten habe ich im Film drin. Darüber hinaus habe ich nichts zu sagen. Ich habe erst ein Gespräch gehabt, in Zürich, das war supergut. Da haben wir eine Vorführung im Kino gehabt und danach über eine Stunde geredet. Das Publikum redet auch untereinander, es war sehr ermutigend. In der Pfalz habe ich gar keinen Termin … obwohl ich in Mainz schon zwei Kinos gerettet habe.

Termine

Ins Atlantis-Kino in Mannheim, K 2, 32 , kommt Volker Schlöndorff am Montag, 2. Mai, 18 Uhr, zu einer Vorstellung seines Films „Der Waldmacher“. Die Dokumentation wird dort voraussichtlich ab 28. April gezeigt. Im Netz: https://atlantiskino.info

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