Ludwigshafen Ein bisschen altmodisch

Benjamin Grosvenor ist erst 22 Jahre alt, aber die Musikwelt hat ihn schon jetzt mit Preisen überhäuft: Mit elf gewann er die BBC Young Musician Competition, es folgten unter anderem der Clasic Brits Critics’ Award und der Jeune Talent Diapason d’Or. Jetzt spielte er im BASF-Gesellschaftshaus in Ludwigshafen.

Schon die Lektüre der Biografie ließ die Erwartungen in die Höhe schnellen, aber auch das Konzertprogramm mit Werken von Jean-Philippe Rameau, Johann Sebastian Bach (in der Bearbeitung von Ferruccio Busoni), Frédéric Chopin und einem Klavierzyklus des Spaniers Enrique Granados hatte es in sich. Um das Ende vorweg zu nehmen: Grosvenor spielt etwas altmodisch und damit wieder originell. Er hat seine ganz eigene Herangehensweise an die Stücke, die aber an Interpretationen erinnert, die man von etwas angestaubten Schallplatten kennt: Vladimir Horowitz oder Moriz Rosenthal zum Beispiel. Grosvenor scheint in der Musik zu versinken: Mit tief gesenktem Kopf hängt er über den Tasten, scheint sich immer weiter darin zu vergraben. Und seine Musik klingt genauso. Sie zwingt einen geradezu, sich darin zu verlieren. César Francks Präludium, Choral und Fuge kommt zunächst etwas sperrig daher, aber mit der Zeit nehmen sie und Grosvenor den Hörer gefangen. Der Pianist verlangt vom Hörer die gleiche Distanzlosigkeit zur Musik wie von sich selbst. Francks Stück gewinnt dadurch eine Schwere, die man dem als Salonkomponist Verschrienen gar nicht zugetraut hätte. Überhaupt wird alles etwas tiefer und kräftiger, weil Grosvenor dem Ohr wenig Pausen gönnt. Sein großzügiger Pedaleinsatz führt nämlich dazu, dass ein gewisses Grundrauschen immer vorhanden ist. Grosvenor spart an musikalischen Effekten, nur ganz selten – wie in „El amor y la muerte“ von Granados – setzt er auf harte Kontraste. Die Chopin-Mazurken sind weder leicht noch tänzerisch, aber gerade die leisen Passagen klingen so, als ob es keine Tasten gebe, die noch gedrückt werden müssten. Es klingt, als ob die Musik direkt im Flügel entsteht. Grosvenor scheint mit seiner Musik niemanden aufrütteln oder überraschen zu wollen, und wer nicht zum konzentrierten Zuhören gezwungen ist, weil er später eine Kritik darüber schreiben muss, kann sich leicht von ihr zum Abschweifen verführen lassen. An den Interpreten der goldenen Ära wie Horowitz schätze er, so Grosvenor im Interview mit dem englischen „Guardian“, deren Mut, sich auch mal über das hinwegzusetzen, was der Komponist geschrieben hat. Genau das machte der junge Pianist, als er Jean-Philippe Rameaus Gavotte und Variationen a-Moll interpretierte. Das war weniger Rameau als Grosvenor. Rameau auf einem Konzertflügel zu spielen verändert das Stück schon ungemein, denn eigentlich schrieb es der Franzose für das Cembalo. Da perlen die Töne, der Klang ist klar, manchmal fast spitz. Es gibt Pianisten, die versuchen, dem Cembaloklang auch auf dem Flügel nachzueifern. Grosvenor tut das nicht. Er macht daraus ein hochdramatisches Stück Musik, greift zu kräftigen Akkorden und reißenden Tonkaskaden. Grosvenor hat eine eigene, eine geniale Musiksprache. Aber wenn alles nach Grosvenor klingt, dann klingt Rameau eben auch nach Chopin. Und das ist doch eigentlich schade.

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