Ludwigshafen Der Tod ist allgegenwärtig

Wenn eine junge deutsche Frau freiwillig nach Kabul auswandert, dann stellt sich unweigerlich die Frage: Warum ausgerechnet dahin? Genau so ging es der Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel. Aber sie ließ sich nicht beirren und zog nach Afghanistan. „Ausgerechnet Kabul“ heißt ihr Buch, in dem sie von ihren Eindrücken und Erlebnissen in dem kriegsgebeutelten Land berichtet.

Es war nicht nur eine Buchpremiere: „Ausgerechnet Kabul“ ist Ronja von Wurmb-Seibels erstes Buch, und die Lesung beim Literaturfest „lesen.hören9“ in Mannheim war ihre erste Lesung überhaupt – und dann gleich vor 400 Zuhörern. Erzählungen über das Land am Hindukusch treffen den Nerv der Zeit. Außerdem sind es nicht die üblichen Geschichten über Krieg und Taliban, sondern Begebenheiten aus dem Alltag. Der existiert in Kabul eigentlich nicht – oder zumindest nicht so, wie wir ihn kennen. Denn im Alltag auf Kabuls Straßen ist der Tod für die Afghanen allgegenwärtig. Ronja Wurmb-Seibel versucht in ihren Geschichten, die sie früher als Kolumnen in der „ZEIT“ veröffentlichte hat und jetzt als Blog im Internet, diese ständige Bedrohung für ihre Leser verständlich zu machen. Auch wenn sie es selbst nicht wirklich nachvollziehen kann, wie sie zugab. Denn als Ausländerin ist ihr Leben in Kabul relativ geschützt. Es ist eine kleine heile Welt innerhalb des Chaos. Die Journalistin schilderte das Schicksal der Hauswirtschafterin Leilema, deren Mann bei einem Anschlag ums Leben kam, oder ihre Begegnung mit drei Mädchen vor dem ISAF-Hauptquartier, die selbst nur durch Zufall einem Bombenattentat auf dem Markt entgangen sind. Aufgelockert wurden diese ernsten Begebenheiten von dem afghanischen Percussionisten Hakim Ludin. Ronja von Wurmb-Seibel beschränkt sich in ihrem Buch auf die Beschreibung des Erlebten, hält sich mit Kommentaren zurück. Zwischen den Zeilen jedoch schwingt die Faszination für das Land am Hindukusch mit und die Sympathie für seine Menschen. Zum Beispiel Sia, der als Übersetzer für die Bundeswehr gearbeitet hat und mittlerweile in Deutschland lebt, weil es in seinem Heimatland nicht mehr sicher für ihn ist. Oder der junge Nachtwächter in dem Gebäude, in dem sie untergebracht war, der tagsüber Journalismus studiert. Als Frau in Kabul werde sie oft auf die Situation der Frauen in Afghanistan angesprochen, erzählte sie. Ronja von Wurmb-Seibel trägt in Kabul ein Kopftuch, wenn sie das Haus verlässt. Es störe sie nicht, sagte sie. Da stellt sich die Frage: Würde sie es tragen, wenn sie nicht müsste? Ihr pragmatisches Fazit: Wer nicht weiß, ob sie abends heimkehrt, wenn sie morgens auf die Straße geht, habe andere Probleme als Kopftuch und Burka. Das klingt logisch. Allerdings sprach sie fast nebenbei von einer Polizistin, die nach Dienstschluss die Burka überstreift, um sich vor den Blicken der Männer auf dem Nachhauseweg zu schützen. Dass Frauen die Burka also bereits nicht mehr als Symbol der Unterdrückung wahrnehmen, sondern als Schutzkleidung ist der traurige Auswuchs einer diktatorisch-patriarchalen Kultur, der bei aller Liebe für dieses Land nicht bagatellisiert werden sollte. „Krieg ist beschissen“, betonte Ronja von Wurmb-Seibel. Damit hat sie recht. Aber das macht andere Dinge nicht weniger schlimm.

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