Ludwigshafen Auch Ludwigshafen liest Houellebecq

Michel Houellebecq ist mit seinem Roman „Unterwerfung“ Spitzenreiter der Januar-Bestsellerliste. Das ist wenig überraschend, weil das Buch nach der ungewollten Medienreklame durch den Pariser Mordanschlag sämtliche Bestsellerlisten anführt. In Ludwigshafener überrascht dies trotzdem: Der französische Skandalautor hatte hier bislang keine große Lesergemeinde .

Ob „Spiegel“, „Focus“, Amazon, Hugendubel oder Thalia-Buchhandlungen: Auf allen Bestsellerlisten in Deutschland steht „Unterwerfung“ ganz oben. Schon vor der Auslieferung der deutschen Übersetzung Mitte Januar setzte eine gewaltige Nachfrage nach dem Buch ein. Der Kölner DuMont Verlag druckte es zunächst in einer Auflage von 100.000 Exemplaren, schob dann aber sofort eine zweite Auflage mit 50.000 Exemplaren nach, innerhalb kürzester Zeit eine dritte und vierte mit weiteren 120.000 Exemplaren. Die Franzosen sind überrascht von Houellebecqs Erfolg in Deutschland. In Frankreich hat sein Buch schlechtere Kritiken bekommen als hier. In Ludwigshafen hat zuvor keines der vielen Bücher des bald 59-jährigen (nach anderen Angaben 57-jährigen) Autors auf der Bestsellerliste gestanden. Der eigenbrötlerische, scheue, dabei gern provokante Autor selbst hatte auch jetzt wenig bis nichts getan, um für sein Buch zu werben. Der 7. Januar, als die Pariser Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ von Dschihadisten überfallen und zwölf Menschen erschossen wurden, war auch der mit Spannung erwartete Tag der Auslieferung der französischen Originalausgabe von „Soumission“. Auf der ersten Seite des Magazins prangte eine Karikatur des Schriftstellers, die ihn als Clochard zeigt, versehen mit dem Zusatz: „2015 verliere ich meine Zähne. 2022 begehe ich den Ramadan“. Das war auf das Gedankenspiel des Buches bezogen, in dem Frankreich in naher Zukunft von einem liberalen muslimischen Präsidenten regiert wird, der das Land im Sinne des Islam umkrempelt. Seitdem ist das Buch immer wieder „islamfeindlich“ oder „Islamkritisch“ genannt worden. Andere kreideten ihm an, dass es dem rechtsextremen Front National in die Hände spiele. Sein Verfasser tritt solchen Vorwürfen entgegen. „Unterwerfung“ ist die Übersetzung des arabischen Wortes Islam. Während es in der Religion aber die Hingabe an Gott meint, biegt der doppeldeutige Titel es zu einer Kritik an den dekadenten westeuropäischen Gesellschaften um. Die Hauptperson des Romans, ein vereinsamter Frauenheld und Literaturwissenschaftler an der Universität, tritt zum Islam über, weil die Konversion ihm nicht nur finanzielle Vorteile einträgt, sondern ihm obendrein auch noch das Recht der Vielweiberei gibt. Eine aus Egoisten ohne Ego bestehende Gesellschaft hat Houellebecq auch in seinen früheren Büchern schon aufs Korn genommen. Um Jugendwahn, Sexbesessenheit, Geldgier, Sensationslüsternheit und Werteverlust ging es auch in „Ausweitung der Kampfzone“, „Elementarteilchen“ und „Karte und Gebiet“. Jetzt hat die Sensation den Schriftsteller in der Realität eingeholt. Seit dem Erscheinen seines Romans steht er unter Polizeischutz. Was ihm (und seinen Verlegern) einen Geldsegen einträgt, ist zum Fluch geworden, seines Lebens nicht mehr sicher zu sein. Houellebecqs Äußerungen nach dem Anschlag zeugen von der pessimistischen Lebenseinstellung, die sich auch in seinen Büchern ausspricht. Die Massendemonstration für Meinungsfreiheit in Paris hält Houellebecq für eine bald wieder vergessene Erscheinung, die Demokratie in Frankreich für extrem gefährdet. Eine Gesellschaft ohne Religion ist für ihn nicht lebensfähig. „Jedes Mal, wenn ich auf eine Beerdigung gehe“, sagte er kürzlich in einem Interview, „spüre ich, dass der Atheismus unserer Gesellschaften unerträglich geworden ist.“ Aber auch an der Aufgabe, die er dem Schriftsteller zuweist, hält Houellebecq fest: zu provozieren. Einen ausgefallenen, hinreißend erzählten Krimi empfiehlt Joachim Schwender, Inhaber von Pro Buch in der Ludwigstraße. Beim Lesen von Liza Codys „Lady Bag“ habe er schon nach fünf (von 300) Seiten festgestellt, „dass es sich rentieren wird“. Lady Bag ist eine Londoner Obdachlose, die mit ihrem Hund und viel Rotwein umherzieht. Die ehemalige Bankangestellte hat unschuldig im Gefängnis gesessen. Eines Tages begegnet sie dem Mann wieder, der sie ins Unglück gestürzt hat. Sie beschattet ihn und kommt übel zugerichtet in einem Krankenhaus wieder zu sich. Hier spricht man sie mit einem fremden Namen an, von dem sich bald herausstellt, dass er einer Toten gehört. Die scharfsinnige Lady Bag macht sich an die Aufklärung des Falles.

x