Ludwigshafen Am Rand der Stadt

Jörg Heydecke ist großer Fan des 1. FC Kaiserslautern. Schon an der Tür zu seinem Zimmer werden Besucher mit dem Logo des Traditionsvereins konfrontiert. Über dem Bett hängen Wimpel, Schals und Fotos. Ob es in der nächsten Saison endlich mit dem Aufstieg in die Fußball-Bundesliga klappen werde? Der 48-Jährige zuckt mit den Schultern: „Ich hoffe“, sagt er mit dem thüringischen Einschlag, den ihm die Pfälzer Jahre nicht abgewöhnt haben. Ein Mensch mit ausgeprägtem Hang zum Realismus scheint Heydecke nicht nur in Fragen des Fußballs zu sein. Man spürt das auch, wenn er über sein Leben erzählt. Ein Leben, in dem Krankheit immer wieder die Hauptrolle gespielt hat: Einen Schlaganfall und mehrere Herzinfarkte hat er er- und überlebt und schlechte Erfahrungen mit einem Defibrillator gemacht. Er hat Mühe, das Wort auszusprechen. Eine Sprachstörung ist die Folge einer halbseitigen Gesichtslähmung. Weil Heydeckes Eltern gestorben sind, als er 16 und 18 Jahre alt war, und er auch sonst kaum sozialen Rückhalt hatte, haben sich die Krankheiten noch dramatischer auf seine Existenz ausgewirkt als ohnehin schon. Der Tiefpunkt war ein Marsch von Grünstadt, wo er damals lebte, nach Bad Dürkheim, wo ihn ein Taxifahrer auf einer Parkbank am Bahnhof aufsammelte und ins Krankenhaus brachte. „Das Datum vergesse ich nie“, sagt Heydecke und beweist es, „das war am 13. Mai 2008.“ Nach einem Aufenthalt im Ludwigshafener Klinikum kam er ins Haus St. Martin. Als Teilnehmer an einer sogenannten Langzeitmaßnahme bewohnt er seitdem die Hälfte eines Doppelzimmers. Tagsüber tut er, was er kann: Blumen gießen, Pflanzen pflegen. Pläne darüber hinaus macht er kaum. „Ich hätte Angst davor“, gibt Heydecke zu, „in einer eigenen Wohnung zu leben.“ Wie gesagt: ein Realist. Das Haus St. Martin hinter dem BASF-Tor 7, am Unteren Rheinufer und damit am Rand der Ludwigshafener Innenstadt gelegen, gibt Männern in perspektivlosen Situationen einen Rahmen. Zunächst einen räumlichen, damit sie nicht auf der Straße schlafen müssen. Und dann einen im übertragenen Sinn. Die Mitarbeiter des Caritas-Förderzentrums unterstützen sie bei der Suche nach Wohnung und Arbeit und helfen ihnen, ihre finanziellen und oft auch (familien-)rechtlichen Angelegenheiten mit Behörden zu klären. Den letzten Punkt hat Wolfgang Braun abgehakt: als er in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankenthal einige Wochen inhaftiert war, weil er eine Geldstrafe nicht hatte bezahlen können. Es war der Beginn eines Teufelskreises. „Zuerst“, erzählt der 49-Jährige, „habe ich meine Arbeit verloren und dann meine Wohnung.“ Durch ein Prospekt auf das Haus St. Martin aufmerksam geworden, konnte der gebürtige Ludwigshafener Mitte Februar ein Einzelzimmer beziehen. Mit dem Wunsch zwar, schnellstmöglich wieder aus- und in eine eigene Wohnung einzuziehen. Aber auch mit Dankbarkeit: „Es ist noch einmal glimpflich ausgegangen.“ Jetzt, da er eine Meldeadresse vorweisen könne, könne er sich auf Jobsuche begeben. „Ich würde vieles machen.“ Vorzuweisen hat er indes nur eine abgebrochene Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, wie er mit etwas zerknirschtem Gesichtsausdruck erzählt. „Es sind immer verschiedene Faktoren, die zusammenkommen, bis jemand in dieser Situation ist“, sagt Stefan Syren, der Leiter des Hauses St. Martin. „Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der sagt: Nur die anderen sind schuld.“ Er wünsche sich, sagt der 58-Jährige, dass mit seinen Kunden fair umgegangen wird und nicht vorschnell geurteilt nach dem Motto: „Hätten die sich nur richtig verhalten, wäre das alles nicht passiert.“ Menschen, die es gut mit den Bewohnern meinen – es gibt sie durchaus. Der 1. FC Kaiserslautern zum Beispiel hat dem Haus St. Martin schon mal Freikarten für ein Spiel auf dem Betzenberg geschenkt. Für Jörg Heydecke war dieser Ausflug etwas ganz Besonderes.

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