Ludwigshafen „ Ämter nicht gegeneinander ausspielen“

Herr Münchmeyer, wir mussten unser Interview um mehr als eine Stunde verschieben, weil Sie eine Beerdigung hatten. Wo waren Sie gerade?

Ich hatte eine Urnenbeisetzung auf dem Friedhof in Mundenheim. Vor nicht allzu langer Zeit stand die katholische Kirche der Einäscherung ablehnend gegenüber. Mehr als die Hälfte der Bestattungen in Ludwigshafen sind mittlerweile Urnenbeisetzungen. Als ich noch ein kleiner Messdiener war, und das ist auch schon mehr als 50 Jahre her, war eine Feuerbestattung Ausdruck einer nichtchristlichen oder atheistischen Haltung. Einäscherung sollte, so dachte man, den letzten Beweis erbringen, dass nichts dran ist an der Auferstehung und dass es auch nicht stimmt, dass nur Staub bleibt. Die zunehmende Anzahl der Urnenbestattungen ist aber wohl kaum einem christlichen Sinneswandel geschuldet? Eher spielen doch wohl praktische Gründe eine Rolle. Es sind zum einen die Kosten, aber inzwischen werden Gräber auch für kürzere Zeit gekauft als früher. Das waren ja viele Jahrzehnte, in denen ein Grab in Familienbesitz war. Zum anderen brauchen Urnengräber weniger Platz, sind günstiger. Sie leben seit zehn Jahren in Ludwigshafen. Wie viele Menschen haben Sie beerdigt? Je größer die Pfarreien werden – wir betreuen Herz Jesu, St. Ludwig, Heilig Geist und inzwischen auch St. Sebastian in Mundenheim –, umso öfter bin ich auf dem Friedhof. Es dürften in den zehn Jahren etwa 270 Beerdigungen sein, die ich gehalten habe.Sie sind nicht nur Pastoralreferent in der Gemeinde, sondern auch Diakon – und dürfen deshalb Beerdigungen halten. Die waren früher den Priestern und Kaplänen vorbehalten. Woher kommt die Änderung? Seit dem Zweiten Vatikanum gibt es wieder ständige Diakone in der katholischen Kirche. Männer, die erfahren sind – auch im Beruf –, und im Glauben gefestigt, hat man seit den 70er-Jahren zu Diakonen geweiht. Sie unterliegen nicht dem Zölibat, sondern leben mit ihren Familien in der Gemeinde und versehen dort ihren Dienst. Weil Tote zu begraben ein Werk der Barmherzigkeit ist und die Diakone ja das Dienende in der Kirche verkörpern, gehören auch Beerdigungen zu ihren Aufgaben. Mittlerweile gibt es auch Pastoral- und Gemeindereferenten mit dem Auftrag, Bestattungen vorzunehmen und die Liturgie zu gestalten. Aus Personalgründen? Auch. Dabei gibt es immer wieder Reaktionen bei den Hinterbliebenen: Warum macht denn das nicht der Pfarrer? Der Opa hat doch so viel für die Kirche getan. Aber es wird zunehmend akzeptiert, dass es nicht der Pfarrer persönlich tut.Könnte es so weit kommen, dass auch Laien Bestattungen vornehmen? Ich vermag nicht zu sagen, wie das in Zukunft aussieht, ob auch Ehrenamtliche diesen Dienst tun werden. Ich merke aber, dass der Blick innerhalb der Kirche mehr und mehr auf das Ehrenamt gerichtet wird. Aber es ist auch eine Sache der Gemeinde, wie sie sich in dieser Hinsicht einbringt.Wie sind Sie, der Sie zwar studierter Theologe, aber kein Priester sind, seinerzeit in der Gemeinde aufgenommen worden? Es ist ein Geschenk, wenn man mit offenen Armen angenommen wird. Das durfte ich damals in der Gemeinde Herz Jesu erfahren, als ich 2004 als Pastoralteamleiter hergekommen bin. Gleichzeitig hatte ich die Aufgabe, die Gemeinde zu leiten, und ich war verpflichtet, mit meiner Familie ins Pfarrhaus zu ziehen.Sie brauchten den Platz als Ehepaar mit vier Kindern? Schon, aber ich will auf die Veränderungen in der Kirche zu sprechen kommen. Früher hatten in einem Pfarrhaus der Pfarrer gewohnt, zwei Kapläne, vielleicht noch ein Elternteil des Pfarrers, oder beide, und eine Haushälterin. Die hatten miteinander wenig zu tun, und jeder brauchte seinen Freiraum. Deshalb sind Pfarrhäuser in der Regel großzügig angelegt und haben viele Räume. Dieses Pfarrhaus hier in Herz Jesu ist für meine Familie, die aus sechs Personen besteht, zumindest am Anfang bestanden hat, sehr gut geeignet, und wir fühlen uns hier sehr wohl.Und wo wohnt der Pfarrer? Der Pfarrer wohnt im Pfarrhaus der Gemeinde St. Ludwig. Dort wird auch das neue Zentralbüro der vier Gemeinden eingerichtet. Wieso mussten Sie ins Pfarrhaus? Dass ich ins Pfarrhaus ziehen musste, gehörte zu einem Modell in der Diözese Speyer. Pastoralteamleiter, die es damals noch gab, sollten als Ansprechpartner im Pfarrhaus präsent sein, sollten die Seelsorge koordinieren und zu einem großen Teil eigenverantwortlich gestalten – aber immer war ein Pfarrer der Vorgesetzte.Heißt das nicht, dass Sie in der Gemeinde de facto der Seelsorger waren? Es hat sich immer als richtig erwiesen, wenn man die Ämter und Dienste nicht gegeneinander ausgespielt hat. Als ich Militärseelsorger war, haben viele Soldaten gesagt, mit dir können wir ja reden, du bist verheiratet, weißt, was es heißt, Familie zu haben. Ich hab’ aber immer gebremst und gesagt, ich weiß wie es in meiner Familie ist, ich weiß wie es ist, mit meiner Frau verheiratet zu sein. Das sollte heißen, dass ich unter Umständen gar nicht über meinen Bereich hinausschauen kann. Dazu kommt, dass es in der Zusammenarbeit mit dem Pfarrer eigentlich nur gute Zeiten gab. Die besten waren, wenn ich so nachdenke, die, als die Kinder klein waren und der Pfarrer und ich vertrauensvoll miteinander gearbeitet haben, als der Pfarrer sich bei uns wohlgefühlt hat, die Kinder ihn mochten und er fast Teil unserer Familie war. Das hat beiden Seiten sehr gutgetan. Auch heute ist das Verhältnis zu Pfarrer Alban Meißner freundschaftlich und von großer Wertschätzung geprägt.Wie sieht Ihr Berufsalltag aus? Es gibt einen Ratschlag, 30 Prozent des Tages mit festen Terminen einzuplanen. Die anderen 70 Prozent scheinen zwar sehr großzügig bemessen zu sein, doch man weiß nie, wann ein Trauerfall eintritt oder wer an der Tür klingelt und um Hilfe bittet. Es sind außerdem viele Telefonate zu führen – aber das Schlimmste für einen Seelsorger ist das Gehetzt-Sein. In unserer künftigen Ludwigshafener Großpfarrei I, in Zukunft St. Peter und Paul genannt, wird es ab Advent 2015 sieben Altenheime geben und fünf Kindergärten. Auch deshalb ist es nicht verkehrt, die „70 Prozent“ offen zu lassen. Und gerade wenn Sie Besuche im Altenheim machen und gleich zu Beginn sagen, ich hab eigentlich keine Zeit, dann bleiben Sie besser draußen. Man kann zwar die Besuchszeit begrenzen und dies auch ankündigen. Doch der Respekt vor dem Menschen verlangt gerade von einem Seelsorger, sich Zeit zu nehmen.Gibt es auch Menschen, die an der Pfarrhaus-Tür um Almosen bitten? Ja. Die Anzahl derer, die in einer Notsituation an der Haustür klingeln, wird nicht kleiner, und es ist schwierig, jemanden wegzuschicken – selbst wenn man Gründe hat. Aber es bleibt ein ungutes Gefühl. Ich kann jedoch nicht jeden finanziellen Wunsch erfüllen, der an mich herangetragen wird.Wie muss man sich die Situation vorstellen? Dass zum Beispiel jemand eine angeblich dramatische Situation schildert, die gar nicht existiert. Jeder von uns Seelsorgern in Ludwigshafen ist schon über den Tisch gezogen worden, weil ihm eine Geschichte aufgetischt wurde und der Fremde dabei sogar so weit geht zu behaupten, sein Vater oder seine Mutter sei eben verstorben. Jemand, der so etwas macht, braucht sicherlich Hilfe, der muss ganz unten sein. Da kommt man an Grenzen. Solche Situationen sind belastend. Und die geplanten 30 Prozent, wie füllen Sie diese Zeit aus? Wir sind regelmäßig in den Altenheimen präsent; in jeder der vier Pfarrgemeinden, die ihre Eigenständigkeit bewahren, gibt es einen Caritas-Ausschuss mit regelmäßigen Treffen; es finden Trauer-, Tauf- und Seelsorgegespräche statt. Wir haben einen Frauenbund und eine Frauengemeinschaft in St. Sebastian, und als Diakon habe ich auch den Predigtdienst am Sonntag – und eine Predigt will vorbereitet sein.Verzeihen Sie den Vergleich: Journalisten müssen gelegentlich Kommentare schreiben – und sind nicht immer in Form (lacht) So ähnlich ist es bei der Predigt auch. Es kommt auf die Verfassung an und auf den Text. Es gibt Evangelientexte, und die Predigt ist ja die Auslegung des Evangeliums, wo der Zugang nicht so leicht ist. Gut, mit 60 hat man eine gewisse Routine, aber es soll auch nicht so sein, dass man den Aktenordner aus dem Schrank nimmt und schaut, was man vor fünf Jahren dazu gemeint hat.Wie oft predigen Sie? Ein-, zweimal im Monat und dabei gelegentlich dreimal an einem Wochenende, also in den Gottesdiensten, die der Pfarrer zelebriert. Sonst ist es ja für ihn keine Entlastung. Denn wenn der Pfarrer sich für eine Predigt vorbereitet hat, kann er sie ja auch in anderen Gottesdiensten halten. Wie viel Zeit brauchen Sie für die Vorbereitung einer Predigt? Ich brauche (überlegt) zwei Stunden? Ja, auch drei – es kommt drauf an: Wenn man’s richtig macht und auch exegetisch arbeitet, also die Quellen liest und sich zunächst über den Schrifttext informiert und dann, wie man es gelernt hat, einen Kernsatz herausarbeitet und überlegt: Was will ich der Gemeinde sagen, dann braucht man schon drei Stunden.Lesen Sie den Predigttext ab? Nein. Ich markiere mir Stichwörter. Und je nachdem, wer gerade in der Kirche ist, kann es auch sein, dass ich einen Gedanken dann noch vertiefe oder – zum Beispiel mit Rücksicht auf junge Zuhörer – ihn anders formuliere als auf dem Papier. An welchem Wochentag bereiten Sie sich vor? Es beginnt schon Anfang der Woche, der letzte Guss ist Freitag, eher Samstag – gerne am Samstagmorgen, da mache ich die Endfassung. Da ist es auch oft relativ ruhig, wenig Publikumsverkehr Ein Jesuitenpater in den USA hat mal erzählt, dass er sich montagmorgens den Text vornimmt, dann wartet er auf die Eingebung, und wenn das freitags nicht so gelaufen ist, richtet er den Blick zum Himmel und sagt zum Heiligen Geist: „O, this week you are late“, also: Diese Woche bist du spät dran (lacht).Eine Predigt gehört ja auch zu einer Bestattung. Ist das anders, als auf der Kanzel zu predigen? Predigten auf dem Friedhof sind etwas schwieriger. Das kann an der Trauergemeinde liegen, die unterschiedliche, nicht zu vereinbarende Standpunkte vertritt, oder es kann an besonderen Empfindlichkeiten liegen. Da arbeite ich manchmal an Formulierungen, um niemanden zu verletzen, um den Graben nicht noch tiefer zu machen.Über Tote soll man nicht schlecht reden. Gilt das für einen Trauerredner? Ja, der Grundsatz heißt: „Nihil nisi bene“ – Nichts, wenn nichts Gutes. Das Grab ist nicht der Ort um nachzutreten. Das Gute, das einen Menschen ausgezeichnet hat, soll gewürdigt werden, das andere soll verblassen. Mein Morallehrer in Mainz hat gesagt: Man muss immer die Wahrheit sagen, aber man muss nicht immer die Wahrheit sagen.Und die sagen Sie jetzt natürlich auch: Haben Sie Ihre Berufswahl je bereut? Nein! Eigentlich nie, es gab keine richtig große Krise. Man kann sich gelegentlich zwar hineinsteigern, aber die Grundentscheidung war richtig.

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