Kreis Germersheim Sechs Stunden Spielzeit sind kritisch

Herr Hügel, laut Ihrem Jahresbericht spielen Kinder inzwischen bereits mit acht Jahren zum ersten Mal am Bildschirm, meist mit dem Nintendo. Wie verhindern Eltern, dass das zur Sucht wird?

Indem Eltern Kindern beibringen, dass Medien zum Alltag gehören, diesen aber nicht bestimmen. Sowohl Verbot als auch unkontrollierte Nutzung führen zu einer Überbetonung der Medien im Alltag, was dann eine der Grundlagen für eine Suchtentwicklung ist. Die Eltern sind es, die ihren Kindern neben der Stressbewältigung auch das Spielen ohne Medien beibringen müssen. Was macht Jugendliche anfällig dafür, zu viel Zeit am Computer oder gar in der Spielhalle zu verbringen? Leider sind nicht nur Jugendliche anfällig für Glücksspielsucht. Ich kenne sehr viele Glücksspieler, die erst ab 30 oder 40 mit „ihrer“ Sucht begonnen haben. Aber was ist die genaue Ursache? Sucht ist in der Regel eine Rückzugs- oder Ausbruchbewegung. Anforderungen sind zu hoch, man fühlt sich ihnen nicht gewachsen, Entwicklungsaufgaben werden als unerfüllbar erlebt. Auf der anderen Seite möchte man ausbrechen aus der erlebten Enge, sozialen und familiären Zwängen, zeigen, dass man einen eigenen, anderen Lebensentwurf hat. Das Suchtmittel ist dann Streitschlichter, Beruhiger, Ablenker und Tröster beziehungsweise Versuch der „Selbstmedikation“ bei Erkrankung wie zum Beispiel Depression; es gibt nur noch den einen Weg, das Leben ertragen zu können. Unterscheiden sich Automatenspieler von ihrer psychischen Disposition her von PC-Spielern? Ja. Glücksspielsucht und pathologischer dysfunktionaler Internet- und PC-Gebrauch sind zwei sehr unterschiedliche Erkrankungen. So hat die Spielsuchtambulanz Mainz zum Beispiel festgestellt, dass die Menschen mit einer Medienabhängigkeit viel mehr beziehungsweise stärkere psychische Erkrankungen haben. Auch wenn bei beiden Erkrankungen das Wort „Spiel“ vorkommt, sind es zwei sehr verschiedene Dinge. Süchtig kann man ja nicht nur nach PC-Spielen, sondern auch überhaupt nach der Computernutzung sein. Wie viele Stunden muss man täglich privat vor dem Computer sitzen, um als abhängig zu gelten? Die Länge der Spielzeiten ist höchstens eines von 10 Kriterien, um eine Medienabhängigkeit zu diagnostizieren. In den Fragebögen werden Spielzeiten ab 6 Stunden täglich jeden Tag als problematisch angesehen. Die Klienten mit einer Abhängigkeit weisen Spielzeiten von 12 bis 18 Stunden bei täglichem Spiel auf. Jugendliche können schon mal exzessiv 6 bis 10 Stunden täglich spielen, ohne abhängig zu sein. Dennoch sind solche Spielzeiten immer ein Warnsignal und sollten ernst genommen werden. Dann stimmt oft in der Familie etwas nicht. Spielsucht scheint ja auf den ersten Blick eine saubere, diskrete Flucht vor der Realität zu sein. Zumindest bedeutet sie keine physische Abhängigkeit. Welche Probleme zieht Spielsucht familiär und gesellschaftlich nach sich? Die „üblichen“ Folgen von Glücksspiel sind weitere psychische Erkrankungen wie Depression bis hin zur akuten Suizidalität und deren Folgen. Meist ergeben sich schwere Ehe- und Beziehungskrisen, die durchaus das Ende der Beziehung zur Folge haben, mit alldem, was Scheidung für die Partner und deren Kinder bedeutet. Schulden beziehungsweise Überschuldung sind eine weitere Bürde, die sich auch Jahre nach Ende der Spielsucht noch hemmend auswirken. Wie hoch summieren sich die Schulden denn? Der Durchschnitt lag 2013 bei rund 216.000 Euro, das Maximum bei 7 Millionen. Auch Angehörige holen sich bei Ihnen Beratung. Und manchmal sogar nur diese, weil der Betroffene sich als beratungsresistent erweist. Wie sieht die Hilfe für Ehefrauen und Kinder aus? Es geht darum, dass die Angehörigen die Sucht nicht weiter unterstützen und Hilfe bei der Entscheidung bekommen, wie viel sie noch mittragen können und ab wann Schluss ist. Denn auch die Kräfte der Angehörigen sind endlich und wenn Kinder da sind, geht es auch um deren Schutz. Ihre Prognose: Wird sich das Problem Spielsucht in den nächsten Jahren regional noch verstärken? Ja. Im Bereich Glücksspiel erwarten die Fachkräfte einen Anstieg aufgrund von zwei Effekten. Zum einen wegen der gestiegenen Automatenzahlen, in der Regel dauert es 7 Jahre, bis die Welle der neuen Spielsüchtigen in den Beratungsstellen ankommt. Und zum anderen wegen der verstärkten Werbung für Sportwetten, die zunehmend zu abhängigem Spielverhalten führen. Entsprechende Präventionsangebote werden gerade in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für Gesundheitsförderung Mainz erarbeitet.

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