Kreis Germersheim „Ein Staatssekretär schreibt nicht“ – nein, er liest

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„Das ist ein anspruchsvoller Job, den ich gern mache. Vor ihnen sitzt ein glücklicher Mann.“ Der Mann, der das im Gespräch mit der RHEINPFALZ sagt, ist der Bellheimer Andy Becht. Seit Mai ist er Staatssekretär in Mainz, im von seinem Parteifreund Volker Wissing (FDP) geleiteten Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau. Nun zieht Becht eine Bilanz seiner ersten Monate im Regierungsamt.

Erinnerung: 2003, erzählt Becht, war er mit Verbandsbürgermeister Dieter Adam und dem inzwischen verstorbenen Bellheimer Ortsbürgermeister Hans-Joachim Heinz in Mainz beim Staatssekretär Günter Eymael (FDP), um über den Bau der Südumgehung zu reden. Nun ist er selbst in dem Amt, und das seit Jahren baureife Straßenprojekt steht im Etatentwurf; es könnte bald verwirklicht werden, wenn der Landtag im Frühjahr zustimmt. Das, darauf legt Becht großen Wert, sei aber nicht sein Verdienst, bestenfalls das seiner Partei. Denn die habe mit dafür gesorgt, dass im Land wieder mehr Geld für Straßenbau ausgegeben wird. Zur geforderten Verlängerung der Südumgehung entlang von Knittelsheim bis hinter Ottersheim, sagt Becht: „Der raumordnerische Entscheid ist gefasst. Jetzt müssen wir sehen, dass wir die Planung voranbringen.“ Dafür gelte es auch Ingenieure zu finden. Denn wegen der vermehrten Straßenbauprojekte in Bund und Land würden mehr Leute benötigt beim Landesbetrieb Mobilität (LBM). Dabei stehe das Land als Arbeitgeber in Konkurrenz zur Baubranche, „die teils besser zahlt“. Hinzu komme der Fachkräftemangel, Stichwort: Demografie. Auf den Straßen rollen seit einiger Zeit probeweise die neuen Lang-Lkw, die sogenannten Gigaliner; seit Kurzem sind diese auch auf bestimmten Strecken im Kreis Germersheim zugelassen (wir berichteten). „Das war ein industriepolitisches Signal.“ So könnten zwei Gigaliner die Fracht von drei herkömmlichen Lastwagen transportieren. Dabei gehe es vor allem um großvolumige aber niedriggewichtige Teile wie sie zum Beispiel Daimler in seinen Lastern verbaue. Zum Sicherheitsaspekt sagt Becht, dass in die Gigaliner diverse Assistenzsysteme eingebaut seien, zum Teil sogar autonomes Fahren möglich sei. Ein ganz wichtiges Verkehrsprojekt für den Kreis Germersheim ist laut Becht der Bau der zweiten Rheinbrücke bei Wörth. Es sei für diese ein wichtiger Schritt nach vorn gewesen, sie vom Ausbau der B 36 auf badischer Seite zu entkoppeln. Trotzdem sei immer noch offen, wann sie gebaut wird. „Das ist ein hochkomplexes Verfahren, da musste viel Überzeugungsarbeit geleistet und manches Machtwort gesprochen werden.“ Schließlich sei die Brücke nicht immer gewünscht gewesen. Dass Mainz nicht nur auf den Autoverkehr setzt, macht Becht am jüngst durchgesetzten Elsass-Ticket fest (wir berichteten). Damit können bis zu 15 Personen vergünstigt mit der Bahn über die Grenze fahren. Nun ist Becht aber nicht nur für Verkehr und Wirtschaft zuständig, sondern auch für Landwirtschaft und Weinbau: „Das erste Halbjahr war ein Crashkurs in Sachen Milchkrise, Fassweinkrise, Schädlingsbefall.“ Was Letzteres anbetrifft, so habe er mit der Europäischen Union über Bekämpfungsmittel gegen den Falschen Mehltau verhandelt. Thema waren aber auch die Unwetter im Frühjahr und Frühsommer. „Da war manche schlaflose Nacht – nicht nur bei den Landwirten – auch beim Staatssekretär“, gibt Becht zu Protokoll. Zu seinem Zuständigkeitsgebiet zählt er unter anderem über 2200 Orte, rund 18.000 Kilometer Straße – derzeit gebe es etwa 400 Straßenbauprojekte im Land – 172.000 Unternehmen, davon 19.000 landwirtschaftliche Betriebe, aber auch den LBM, vier Staatsweingüter, das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR), vier Landeshäfen, die Außenstelle Hahn und die Wasserstraßen. „Anfangs habe ich jede Einladung angenommen. Meine Leute im Hintergrund haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen“, erzählt der 43-Jährige schmunzelnd. In der Anfangszeit habe er auch noch bei Terminen mitgeschrieben und eine Ablage gepflegt. Doch schon bald seien zu viele Papierberge gewachsen. Auch davor hätten ihn seine Mitarbeiter mit den Worten gewarnt: „Ein Staatssekretär schreibt nicht.“ Sie und andere Experten im 700-köpfigen Ministerium, dem 5900 Leute unterstellt sind, sorgen laut Becht mit ihrem Wissen dafür, dass der Staatssekretär gut vorbereitet zu seinen vielen Terminen erscheint. „Sie bekommen Akten für jeden Termin in die Hand und lesen. Und wenn sie was nicht verstehen, kommen sofort Fachleute, die es ihnen erklären.“ In Anbetracht der Terminflut beschleiche ihn manchmal das „Gefühl zwischen ständiger Müdigkeit und ständiger Aufgeregtheit, ob man den nächsten Termin schafft“. Aber sein Team mache ihn „auf den Punkt fit“. Zu seinem Alltag als rheinland-pfälzischer Staatssekretär komme immer wieder Kabinetts- und Bundesratsarbeit. Spannend, aber auch nicht wenig. „Es gibt in Deutschland nur zwei Minister und drei Staatssekretäre, die ein gelbes Käppchen tragen“, erklärt der FDP-Mann. Und als wäre das alles nicht schon Glück genug, ist Becht vor wenigen Wochen auch noch zum dritten Mal Vater geworden. Kein Wunder also, dass er seinen Job als Anwalt und seine Gitarre an den Nagel gehängt und sein kommunalpolitisches Engagement in seiner Heimatgemeinde Bellheim zurückgefahren hat.

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