Kreis Bad Duerkheim „Ich fühl’ mich gar nicht so alt“

Hatten beim Interview viel zu lachen: Jürgen Oberholz, Christoph Glogger, Torsten Bechtel und Dagmar Schindler-Nickel.

Interview: Mit Jürgen Oberholz, Christoph Glogger und Torsten Bechtel erobern die 69er die Rathäuser in der Umgebung

Was fällt Ihnen denn ein, wenn Sie die Namen Steffi Graf, Oliver Kahn und Michael Schumacher hören? Oberholz:

Also Steffi Graf, das war schon eine Ikone im Tennis. Glogger: Fürs Tennis habe ich mich nie so interessiert. Bechtel: Die eigentliche Frage ist doch: Warum fehlt hier Boris Becker? Sehr wahrscheinlich, weil er 1968 geboren ist und nicht 1969 wie die anderen. Oberholz: Echt? Auch alles 69er? Ja, alle 1969 geboren. Sind Sie jetzt überrascht? Oberholz: Also Steffi, da habe ich gedacht, die ist älter. So vom Äußeren her. Bechtel: Also wenn ich jetzt aber so vergleiche, Jürgen ... Glogger: Klar ist ja, dass der Torsten genau solche Fragen beantworten kann. Da hat er taktische Vorteile. Das sind so Ikonen, die man kennt, aber es würde mir total schwerfallen, die altersmäßig einzuschätzen. Bechtel: Boris, das weiß ich, ist ein Jahr älter als Steffi Graf. Da hat meine Oma immer gesagt, sie guckt jetzt nachts Tennis, weil er so aussieht wie ihr Enkel. Ob mir das jetzt schmeichelt oder nicht. Aber bei Michael Schumacher hätte ich mich jetzt schon in die Altersgruppe gesetzt. Steffi Graf, da hätte ich jetzt auch erst gedacht, ich bin einen Tick jünger, aber eigentlich ist es klar ... Wann haben Sie denn herausgefunden, dass sie alle ein Jahrgang sind? Oberholz: Mit dem Kindergarten sind wir auch erst später drauf gekommen. Erst, als Du gesagt hast, Torsten, wie Deine Kindergärtnerin hieß. Wie war jetzt ihr Name noch mal? Bechtel: Die Frau Iffland. Oberholz: Genau, da hab ich gesagt, aber meine war auch die Frau Iffland. Und ich hab ja das Bild von uns auch zu Hause. Bechtel: Kallstadt hatte ja keinen Kindergarten. Da hat mich meine Mutter mit dem Fahrrad nach Freinsheim gefahren. Und dort gab es immer die Frage: Gehst Du in den Kindergarten An der Bach oder in den neuen Kindergarten in der Dackenheimer Straße? Darüber habe ich mich mit dem Jürgen unterhalten. Oberholz: Und da haben wir gemerkt, dass wir beide in dem An der Bach waren. Da waren halt die Guten. Oder warst Du etwa in der Dackenheimer Straße? (zu Glogger) Glogger: (lacht) Nee, ich war in Ludwigshafen. (Oberholz lacht erleichtert). Wann sind Sie denn hierhergezogen, Herr Glogger? Glogger: In der zweiten Klasse. Da bin ich nach Weisenheim am Berg gezogen. Da haben Torsten und ich uns gleich in der Grundschule in Kallstadt kennengelernt. Bechtel: Genau, da war noch ein Platz frei neben mir und dann kam der Neue aus Ludwigshafen und das hat von Anfang an gepasst. Wir haben viel Freizeit miteinander verbracht, und ich habe zu seiner Integration beigetragen. Glogger: Vor allem sprachlich, das war nicht einfach. Meine Großeltern aus Ludwigshafen haben schon etwas gepfälzert. Und deshalb kann ich auch den Ludwigshafener Slang so ein bisschen. Meine Eltern haben Hochdeutsch mit mir geredet. Aber hier am Haardtrand ist man doch manchmal verloren. Aber ich hatte ja einen guten Lehrer. Im Fußball sollte ich mal „dewerre trede“. Hab ich nicht kapiert. Bechtel: Und bei einer Aufführung haben wir Kasperle und Seppel gespielt. Witzig. Wer war der Kasper? Glogger: Also ich war Kasper, aber ich verrate nicht, was der Torsten war. Bechtel: Das war eben die natürliche Verteilung der Rollen. Sie haben das so präsent, als sei es gestern gewesen. Also ich muss da viel mehr in meinem Gedächtnis kramen. Oberholz: Also bei mir kommt das immer wieder hoch, wenn Klassentreffen ist. Mein Abschlussjahrgang der Albert-Schweitzer-Schule trifft sich eigentlich jedes Jahr. Es gibt auch eine WhatsApp-Gruppe, in der wir uns immer austauschen, wenn es über uns etwas Neues zu erzählen gibt. Wir waren die erste Klasse in Weisenheim am Berg, in der Schüler aus Freinsheim und Weisenheim am Sand zusammen in einer Klasse waren. Das war ein Probelauf von der Schule damals. Und wie hat das geklappt? Oberholz: Das war super. Ich hab viele Freunde in Weisenheim am Sand. Und dabei haben wir uns immer bekriegt mit Weisenheim. Das muss man sich mal vorstellen. Wir haben aber nie was gemacht, immer nur dicke Ärm’. Das kommt von ganz früher. Als die Abwässer von Freinsheim durch die Bach bis nach Weisenheim geflossen sind. Dort muss es gestunken haben ohne Ende. Jetzt rückt ja bei uns die 50 immer näher. Bisher konnten wir sagen, wir sind Mitte 40, aber jetzt sind wir ja bereits Ende 40. Ist das ein Thema? Oberholz: Gar nicht, ich fühl mich gar nicht so alt, Du? (zu Glogger) Glogger: Als mein Vater 50. Geburtstag gefeiert hat, da war das für mich ein alter Mann. Das krieg ich nicht mit dem überein, so wie ich mich jetzt fühle. Oberholz: Aber ich habe Bilder von der Oma, da sitzt sie an der Friedhofsmauer. Ganz schwarz angezogen. Da war sie 40, aber schon meine Oma. Aber heute, wenn ich meine Mutter sehe, mit 81, die ist ja richtig flott. Das ist heute alles anders. Aber im Nu hat man sich verrenkt und hat’s im Kreuz, da sieht man das auch wieder anders. Irgendwie merkt man es wohl doch… Bechtel: Also eigentlich ist mir das nicht so bewusst, weil es mir eigentlich gut geht und ich mich am Leben freue und gerne Erinnerungen wiederaufleben leben lasse, um den Akku wieder aufzuladen. Aber tragischerweise ist es so, dass man es doch merkt. Ich habe vor drei Wochen bei einem Jedermann-Turnier drei Stunden Tennis gespielt und das war definitiv eine Stunde zu lang. Erst jetzt hat sich meine Achillessehne wieder ein bisschen erholt. Auch eine Nacht durchzufeiern, ist problemlos möglich, nur die folgenden drei Tage sind schwierig. Oberholz: Aber man kommt sich auch nicht so alt vor. Wenn ich beim Weinlesefest-Umzug in Neustadt mit der Landjugend unterwegs bin, und die sagen dann „Sie“ zu mir, das ist schon komisch. Glogger: Ich habe es auch gerne auf der Arbeit mit jungen Leuten zu tun. Fühle mich da einfach noch nah dran. Oft näher dran als an Leuten, die nur ein paar Jahre älter sind und einen auf gesetzt machen. Bechtel: Das kenne ich aus meiner Lehrerzeit. Da hatte ich das Gefühl, ich wäre eine Generation mit meinen Oberstufenschülern. Natürlich morgens der Blick in den Spiegel, der ist ein bisschen hart. Glogger: Das ist doch auch die Frage, ob das nicht typisch für unsere Generation ist? Gerade weil wir halt so Kinder dieser 68er-Generation sind. Wo uns gar nicht klar ist, was in den Jahren davor gesellschaftlich alles passiert ist. Wie eine so verkrustete Struktur aufgebrochen ist und wir gleich danach unsere Kindheit hatten. Dieses Antiautoritäre haben wir eher mit jung verbunden. Dafür haben die jetzigen Jugendlichen ja keine Wahrnehmung mehr. Oberholz: Aber wo waren wir denn überall? Bei Pfadfindern, Landjugend, Feuerwehr. Das sind doch alles Gemeinschaften, wir waren doch immer aktiv, haben immer dazugehört. Wir hatten ja doch eine andere Kindheit als unsere Kinder heute. Wie hat uns das geprägt? Oberholz: Also bei uns gab es ja auch noch nicht so viel. An Weihnachten nur ein Modell Playmobil. Und Eisenbahn. Die braucht man ja heute gar nicht mehr aufzubauen. Die Kinder heute schauen lieber in den Computer. Ist eine andere Welt. Bechtel: Wir sind sehr behütet aufgewachsen, im Fernsehen gab es nur drei Programme und der Konsum wurde von den Eltern sowieso eingeschränkt. Übers Telefon hat man sich noch gestritten mit den Eltern. Wenn man die Liebste anrufen wollte, und das Gespräch hat eine Stunde oder so gedauert, das war schwierig. Da hat der Vater das vorher verlängerte Telefonkabel wieder verkürzt, damit man nicht aus dem Wohnzimmer rauskonnte. Solche Diskussionen gibt es ja heute nicht mehr. Da kann jeder für sich leben. Wir mussten uns noch arrangieren. Oberholz: Wir haben am Anfang noch beim Opa Fernsehen geguckt, schwarz-weiß. Bonanza. Und machen Sie jeden Technik-Trend heute mit? Oberholz: Also man ist mit den Kiddies schon in einem Trend-Rennen drin. Glogger: Unser Sohn ist in der vierten Klasse und hat als einer der wenigen noch kein Handy. Aber wir hatten ja immerhin schon einen Walkman ... Glogger: Und die erste Playstation. Oberholz: Also ich hatte keinen Walkman. Ich war nicht so ein Musikfreak. Aber ich hatte so eine Musikanlage. Und eine CD von Bonnie Tyler ... Glogger: Ja, ich weiß noch, dass wir alle Hits aufgenommen und Radiosendungen nachgespielt haben. Aber mich hat diese Medienkritik meiner Eltern geprägt, meine Eltern hatten keinen Fernseher zu Hause. Was meine Klassenkameraden gar nicht verstanden haben. Und das hab ich dann versucht zu verteidigen. Apropos Fortschritt, in meiner Geburtszeitung steht noch, dass ich meine Eltern davon abgehalten hätte, die Mondlandung am Fernsehen mitzuverfolgen. „Habe meine Eltern von der Mondlandung abgelenkt. Bin eben wichtiger“, steht da. Wir 1969er haben ja unsere Teenie-Zeit in den 80er Jahren verbracht. Die waren ja auch ein höchst politisches Jahrzehnt. Spielte das eine Rolle bei der Entscheidung, sich politisch zu engagieren? Gab es Vorbilder? Oberholz: Also bei mir war das der Kurt Harm. Der Vorsitzende der Freien Wähler in Freinsheim. Der hat zu mir gesagt, hör mal, komm doch zu uns. Da war ich 18 oder 19. Da waren bei den Treffen Stadtratsmitglieder dabei, die haben aus den Sitzungen erzählt, und das fand ich hochspannend. Glogger: In so in einem Alter hätte ich gewettet, dass ich mich niemals mit so etwas wie Kommunalpolitik auseinandersetzen würde. Oberholz: Ja, aber ich habe das anfangs auch nicht so politisch gesehen. Das war eher informativ. So wie ich bei der Landjugend oder bei der Bauern- und Winzerschaft war. Wenn mich damals jemand anders gefragt hätte, wäre ich womöglich woanders gelandet. Glogger: Ich war wie Torsten bei den Pfadfindern und hab mich im Gymnasium bei der Schülervertretung engagiert. Ich war stark politisiert über die Umweltbewegung. Aber es ging damals darum, die Welt zu retten. Das spießige Rumsitzen im Rat und mich um Pillepalle kümmern, das war überhaupt nicht mein Ding damals. Bei einem Kirchentag habe ich Ernst-Ulrich von Weizsäcker und Erhard Eppler kennengelernt. Das war für mich so beeindruckend, das hat mich zur Politik gebracht. Bechtel: Politisch interessiert war ich von Anfang an. Bei den Pfadfindern wurde viel diskutiert und bei meinen Eltern zu Hause. Für mich war das Schlüsselerlebnis, als wir uns bei den Pfadfindern für unseren neuen Platz in Bobenheim engagiert haben. Als ich gemerkt habe, wie die einzelnen Gremien und Strukturen zusammenarbeiten und was man tun muss, um da etwas zu erreichen. Das Verständnis hab ich dann in meinem Geografie-Studium vertieft, als es dann um Raumordnung ging. Das hat mich dann nicht mehr losgelassen. Haben Sie im politischen Geschäft viel miteinander zu tun und haben Sie es dann leichter, mit einem Kollegen, der genauso alt ist? Glogger: Ja, das macht total Spaß. Schließlich dürfen einen die vielen Termine nicht auffressen. Da muss man ja höllisch aufpassen, was man sagt und wie, um nicht irgendwie anzuecken. Man ist ja ständig unter Beobachtung. Da genieße ich das sehr, wenn man sich trifft und kann ganz locker und ungezwungen miteinander reden. Treffen Sie sich oft? Oberholz: So oft jetzt nicht, aber wir treffen uns sogar, wenn wir es gar nicht vermuten. So haben Torsten und ich uns letztens im Lokal an der Hardenburg getroffen. Da wollte ich mich mit meiner Frau von einem Termin loseisen und ungestört noch was essen. Dort haben wir das Ehepaar Bechtel getroffen und prompt wieder über Politik geredet. Weil doch Freinsheim und Wachenheim beide in der Stadtsanierung sind. Wenn Sie selbst Ihren Geburtsjahrgang bestimmen könnten, welchen hätten Sie sich denn ausgesucht? Glogger: Also die 60er hätte ich schon gerne noch ganz mitgekriegt und den Umbau der Gesellschaft damals, von dem wir so sehr profitiert haben. Ansonsten gibt es für mich nichts zu meckern. Bechtel: Ich bin eigentlich sehr zufrieden. Schließlich habe ich noch zwei Meisterschaften des FCK miterleben dürfen. Oberholz: Ich würde mich mal gerne ins Mittelalter beamen. Aber auch schnell wieder davon abhauen können, wenn es brenzlig wird. —Das Interview führte Dagmar Schindler-Nickel, selbst Jahrgang 1969.

Als Kasperle und Seppel stehen Christoph Glogger (links) und Torsten Bechtel während ihrer Grundschulzeit auf der Bühne.
Bei den Pfadfindern engagiert: Torsten Bechtel.
Musikalisches Talent früh entdeckt: Christoph Glogger.
Für Fasching herausgeputzt: Jürgen Oberholz (links) als Heinzelmännchen mit seiner Schwester Jutta.
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