Kaiserslautern Zeitraffer rückwärts

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Botticelli hatte schon immer seine Fans in Berlin. Alt-Sammlungsdirektor Wilhelm von Bode widmete ihm nicht nur eine Biografie, sondern kaufte ihn auch so fleißig an, dass eine der größten Kollektionen des Florentiners nördlich der Alpen zusammenkam. Ausgerechnet nach dieser Ausstellung zur „Botticelli Renaissance“, die anschließend nach London gehen soll und das Atrium der Berliner Gemäldegalerie erstmals in Gänze mitbespielt, könnte freilich diese Sammlung einige Blessuren davontragen.

Denn das ebenso provokante wie schräg-amüsante Konzept der Kuratoren Ruben Rebmann und Stefan Weppelmann lautet ungefähr: Was wir von Botticelli zu wissen glauben, sind eigentlich nur die nachverdauten Reflexionen des romantischen Jahrhunderts und der Pop-Art: puppenhaft liebliche Madonnengesichter und Schmusekindlein, züngelnde Blondlocken und Engelsgewänder, grazil tänzelnde Bewegungen und streng-feine Kopfprofile. Zu 50 Prozent halten diese ikonischen Formeln ihre Ernte bei der muschelgeborenen Venus in den Uffizien (die nicht einmal Botticellis Erfindung, sondern nur eine gezierte Variation der antiken „Venus pudica“ war), zur anderen Hälfte dürfen auch noch einige andere seiner Schöpfungen als Ideengeber mitspielen. Aber alles in allem war die wahre Botticelli-Renaissance nicht diejenige, in der er als Zeitgenosse des späten 15. Jahrhunderts lebte, sondern seine Wiederentdeckung durch die englischen Präraffaeliten und dann durch die vereinte ästhetische Werbeindustrie zwischen New York und Tokio. Gestützt wird diese These durch eine Art Zeitraffer rückwärts. Der Rundgang beginnt nicht im Florenz der Medici, sondern mit dem vielstimmigen Rauschen der lyrisch-verzückten, später dann (damit auf eben diese Verzückung reagierend) auch ironischen Adaptionen und Nachempfindungen. Das ist – zwischen Böcklin und David LaChapelles Kitschorgien, zwischen den englischen Schmacht-Lyrikern Ruskin und Rossetti, Warhol und einer China-Venus von Yin Xin – laut, anregend und so dick aufgetragen, dass man manchmal leise aufstöhnen möchte: Hat wirklich jede Zarte oder Nackte des 19. und 20. Jahrhunderts etwas mit Botticelli zu tun? – Aber Spaß macht es natürlich trotzdem. Wie dann auch die Parade der vermeintlich echten Werke – etwa 50 Gemälde und einige Dante-Zeichnungen, herbeigeholt aus ziemlich vielen Sammlungen. Oder wenigstens deren Depots, was seinen Grund hat: Denn schnell wird bei diesem Gang entlang der oft stereotyp ähnlichen Motive und Formen, ihren manchmal ikonenhaft starren Bildformeln und anämischen Farben offenbar, dass nur der kleinere Teil davon wirklich eigenhändig sein dürfte. Was auch heißt: Wahrscheinlich hätte der 1445 geborene Künstler reinweg gar nichts gegen seine spätere kommerzielle Multiplikation gehabt – operierte er doch selbst schon bei Lebzeiten mit seiner florierenden Werkstatt kaum anders. Die zärtliche, ins Rundformat gepasste Halbfiguren-Madonna nebst Engelskranz war schon damals ein Hit; ebenso das entrückte Memorial-Bildnis des ermordeten Medici-Sprosses Giuliano, mit dessen Anbringung in der guten Stube jeder, der es nötig hatte, seine Loyalität gegenüber der Herrscherfamilie demonstrieren konnte. Witziger- wie tückischerweise verweigern die Ausstellungsmacher beim Rundgang jede Auskunft über des Meisters Eigenanteile bei den einzelnen Tafeln. Wer mehr wissen will, muss zum Katalog greifen und gerät da in einen Strudel oft einander widersprechender Thesen, die sogar etliche der scheinbar gesicherten Bilder – darunter auch einige aus dem Stammbestand der Berliner Galerie – annagen. Statt das Eigenprofil des Künstlers zu schärfen, präsentiert ihn die Schau als Handelsmarke; zumal jene späte Werkgruppe, in der er sich unter Savonarolas Einfluss dem allzu glatten Geschäftsgang entzog und zum religiösen Ekstatiker konvertierte, quantitativ wenig präsent ist. Dafür qualitativ: Mit der Ausleihe der 1501 entstandenen, ideen- wie malereigeschichtlich gleich bedeutsamen „Mystischen Geburt“ aus London ist ein Wurf gelungen, der höchstens noch durch die originale Venus-Geburt aus Florenz hätte übertroffen werden können. Aber auch die gibt’s, abgesehen von den späteren Nachahmern, wenigstens in zwei Direkt-Repliken – ganz im Sinne des Meisters. Die Ausstellung „The Botticelli Renaissance“, bis 24. Januar in der Gemäldegalerie Berlin am Kulturforum, täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, an Wochenenden 11 bis 18 Uhr.

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