Kaiserslautern Vertiefte Wahrnehmung

Am Sonntag war sein Geburtstag. Sein 127ster. Gelebt davon hat er immerhin 98 Jahre, und das so gut wie nur als bildender Künstler, der Weltruf erlangte. Gerade eröffneten die Verantwortlichen der evangelischen Stadtmission eine Ausstellung mit Original-Lithographien seines Exodus-Zyklus sowie Bildern seines Daseins, Denkens, Glaubens und Wissens. Die Rede ist von Marc Chagall, dem französischen Maler jüdisch-russischer Herkunft.

Exodus, Auszug, Vertreibung – Themen, die entscheidend Chagalls Leben prägten und explizit in seiner Malerei vorkommen. In Kaiserslautern ist Chagalls Exodus-Zyklus zu sehen. Die biblisch-alttestamentarischen Motive zum Auszugs aus Ägypten entstanden von Mitte der 1930er bis Mitte der 1960er Jahre, teils in Schwarz-Weiß, teils in Farbe. Und bekamen zusätzliche Bedeutung durch die politischen Schreckensjahre mittendrin, als erst ein verlorener Krieg zum befreienden Auszug überlebender Juden führte. Diese und andere Anlässe, herausgeführt aus Knechtschaften zu sein, begleiten den Rundgang im zweiten Stock. Er beginnt mit „Auffindung des Moseknaben“, ein erdfarbenes, rundlinienförmiges Motiv, im Zentrum zwei Personen, ein gefundener Korb, darin ein gerettetes nacktes Findelkind, rundum dichtes Schilf am schimmernden Nilwasser. Dort verharrt die Mutter Moses und erlebt lächelnd, dass ihr Kind entgegen des Pharao-Befehls überleben wird. Die Szene berührt, auch ohne Bibelkenntnisse. So verdichtet übersetzt Chagall abstrakte Begriffe wie Freude und Furcht, Ehrerbietung und Willen, Mütterlichkeit und Gottvertrauen jener Menschen in dieser Szene. Die Deutung dieses Aktes gilt als vorangekündigter Plan Gottes mit Israel an, jene Heilsgeschichte des Auszugs aus Ägypten. Denn Moses war es, der sein Volk durch die Wasser führt und befreit. Bis auf helle Lichtkonturen entlang der Körper und Köpfe, beherrscht ein braungelbes Grünblau das Bild. Es assoziiert einen erdig archaischen und fruchtbaren Ort, von dem aus Großes erwachsen kann. Chagalls Motiv erspürt und erzählt einen ganzen Kosmos einer einzigen Momentaufnahme. Hinzu malt und zeichnet er Einflüsse, beispielsweise solch natürliche wie Vögel. Sie stehen für das Fühlen und Sehnen nach Freiheit. Das und mehr vermittelt jeder Lithographie ein eigenes Thema, ohne das große Ganze aus dem Sinn zu verlieren. Und deswegen bleiben sie nicht erdgründig düster, die Farben des Auszugs aus Ägypten. Der Maler wechselte in der nächsten Szene in feuriges Gelb, der „Unterdrückung der Hebräer“ zum Trotz. Dazu erläuterte Galeristin Iris Traudisch Grundlagen zur Mystik jüdischer Farbensymbolik: Gelb bedeutet göttliche Gegenwart und Grün glaubenserfüllte Zuversicht. Beides begleitet die qualvoll gebeugte Knechtschaft. Scharlachrot, wie „Der brennende Dornbusch“, symbolisiert Blut und damit Leben. Ein vertieftes Wahrnehmen steckt in Chagalls Bildern. Scheinbare Gegensätze voll von präzisem Wissen packte der Künstler in eine seine vereinfachte Malweise. Namensschilder konkretisieren die jeweiligen Bibelstellen und machen das Lesen leichter. Im Erdgeschoss, derzeitig zum „Chagall-Café“ umfunktioniert, zeigen die Veranstalter säkulare Motive, profanes Alltagsleben mit Menschen, Orten und Landschaften. Chagall liebte beispielsweise Liebespaare und Blumen. Oder Hellblau, sobald es um sein „Dorf“ ging. Interessenten zur Person des Künstlers finden reichlich Lektüre zur Biografie und Kunstgeschichte. Bekannt als Urheber wertvollster Kirchenfenster bis in nächster Nähe des Stephansdom in Mainz, liegt auch dazu Literatur und Bildmaterial aus.

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