Kaiserslautern Und morgen wird die Welt gerettet

Um den Überlebenskampf der Menschen geht es auf sehr unterschiedliche Weise in drei Produktionen aus Belgien, Australien und Chile. Philippe Quesne lässt eine Kindergang Weltretter spielen, Simon Stone hetzt ein Brüderpaar von heute in die Gewaltspirale eines antiken Mythos, und Manuela Infante warnt vor den Gefahren kultureller Überanpassung: Eindrücke vom Festival „Theater der Welt“ in Mannheim.

Mitten in der Nacht, als alle friedlich schlafen, greifen die Außerirdischen an. Es sind riesige Monster wie aus einem Bilderbuch, man sieht sie als kindliche Zeichnungen an die Wand projiziert. Natürlich haben sie gegen die tapferen Verteidiger der Erde keine Chance und werden mit Salven von Schaumstoffwürfeln in die Flucht geschlagen. Der französische Regisseur und Bühnenbildner Philippe Quesne zeigt uns in seinen Stücken Alltagsszenerien als Orte voller Poesie, Abgründigkeit und Hoffnung. Für seine in Mannheim uraufgeführte Produktion „Next Day“ hat er 13 Kinder zwischen acht und elf Jahren in eine seiner fantasievollen Bühnenlandschaften entlassen, eine Mischung aus Abenteuerspielplatz und Überlebenscamp. Im Hintergrund sieht man heruntergekommene Wohnblocks, auf der Bühne Kletterseile, eine Kugelleuchte wie ein dicker Mond und massenhaft Kunststoffblöcke in allen Größen, aus denen sich Schlafplätze, Schutzmauern und Bunker bauen lassen. Von Erwachsenen keine Spur. Die Bullerbü-Truppe schleppt Musikinstrumente und Lautsprecher herein, Mikrofone und Kameras. In einem wild zusammengestellten Orchesterchen proben sie dramatische Hymnen und Johnny-Cash-Songs, ein Werbefilmchen für Cornflakes und Handfeuerwaffen wird gedreht. Später ziehen sie neongelbe Masken und Umhänge über und trainieren mit dem Publikum den Kampf gegen die Außerirdischen. Das ist allerliebst, besonders wenn eine Minigöre mit Pferdeschwanz und blauem Hängekleidchen Dirigent spielt. Aber mit dem weltvergessenen Kinderspiel will uns Quesne nicht bloß amüsieren, sondern die Augen öffnen für den alltäglichen Erwachsenenwahnsinn. Ach ja, um Überbevölkerung und Umweltzerstörung will sich die holländisch quasselnde Rasselbande auch noch kümmern, allerdings erst am nächsten Tag. Es gibt so viel zu tun. Ganz direkt auf die knallharte Erwachsenenwelt trifft man in „Thyestes“ des australischen Regieshootingstars Simon Stone, Spezialist für zeitgeistige Nachdichtungen klassischer Stoffe. Nach Brechts „Baal“ und Ibsens „Wildente“ ist nun die blutige Atriden-Saga von Seneca an der Reihe. Die Abfolge von Machtkämpfen, Verrat, Vergewaltigung und Inzest kulminiert in einem Brüderstreit um die Thronnachfolge. Bei einem Festmahl setzt der eine dem anderen dessen eigene Kinder, frisch geschlachtet, zum Hauptgang vor. Stone erzählt diese irre Geschichte in der Welt von Twitter und i-Phone, die Brüder Atreus und Thyestes führen keine Schlachten, sondern bekabbeln sich alkoholverstärkt auf der Party oder an der Tischtennisplatte, und als Opfer aller Aggression muss ein schwuler Freund herhalten. Die antike Handlung wird dem auf beiden Seiten einer schmalen Guckkastenbühne sitzenden Publikum zwar in knappen Texteinblendungen zusammengefasst, was aber nur vage Motive für die auf der Bühne erzählte Story liefert. Die zwölf filmisch ausgeblendeten Szenen mit ihren witzigen Schnelldialogen und plötzlichen Gewaltausbrüchen erinnern an US-Serien und Tarantino-Filme. Die unterdrückte Homosexualität als Ursache des Bruderzwistes kommt der Komplexität der Vorlage natürlich nur ansatzweise nahe, mitreißend-hitziges Schauspielertheater (Thomas Henning, Chris Ryan, Toby Schmitz) ist das allemal. Auf dem abgekühlten Level einer Lecture-Performance bewegt sich Manuela Infantes chilenischer Beitrag mit dem bösen Titel „Zoo“. Zwei tapsige Wissenschaftler präsentieren uns die letzten Überlebenden eines als ausgestorben geltenden Völkchens vom unwirtlichen Südzipfel des südamerikanischen Kontinents. In Videoaufnahmen und Liveexperimenten lernen wir die beiden Vertreter des Tzoolkman-Stamms kennen, zwei ängstliche Typen, an denen die Evolution der letzten Jahrhunderte spurlos vorübergegangen ist. Außer Kanu fahren und Knoten knüpfen können sie eigentlich nichts. Wenn man ihnen einen Helm mit dunklem Visier aufsetzt, geben sie Ruhe. Die beiden Ethnologen unterbreiten uns dazu Theoretisches über den Menschen und seine Beziehung zur Welt, die bei den Tzoolkmans ganz überraschend ist. Nicht die Unterwerfung der Natur hat dieses Völkchen überleben lassen, sondern ihre totale Anpassung. Im Wissenschaftsinstitut nehmen die beiden folgerichtig Farben und Formen von Tischen und Wänden an oder liegen unauffällig im Regal. Am Ende ähneln sie verdächtig den beiden Wissenschaftlern, behaupten gar diese zu sein und können plötzlich lesen und schreiben, was die Tzoolkmans erwiesenermaßen noch nie drauf hatten. Da wird aus dem boshaften Menschenzoo noch schnell eine satirische Darwin-Kritik, und wir dürfen weiter rätseln, warum diese eigentlich doch recht cleveren Feuerländer trotzdem beinahe ausgestorben sind.

x