Kaiserslautern Tradition verpflichtet

Eine Klasse für sich: das Raschèr-Saxophon-Quartett.
Eine Klasse für sich: das Raschèr-Saxophon-Quartett.

Die Otterberger Abteikirche ist neben ihrer monumentalen Außenwirkung als zweitgrößte Kirche der Pfalz nach dem Speyerer Dom auch ein Mahnmal für Bewahrung von Tradition. Dass diese Pflege des kulturellen Erbes programmatisch – unter Wahrung kompositorischer Grundwerte und Orientierungen – durchaus auch wechselnde interpretatorische und aufführungspraktische Sichtweisen zulässt, zeigte das dritte der diesjährigen Otterberger Abteikirchenkonzerte am Sonntag eindrucksvoll.

Einen Wandel in der Besetzung und somit eine aktualisierte Bearbeitung erfuhren Motetten aus Früh- und Spätbarock von Claudio Monteverdi und Johann Sebastian Bach. Denn bei den Stücken trat einem klassischen Vokalensemble ein modernes Saxophon-Quartett an die Seite. Beide repräsentieren völlig unterschiedliche Traditionslinien. Die 1900 gegründeten Stuttgarter Hymnus Chorknaben verkörpern den Geist der frankoflämischen Vokalpolyphonie. Diese war als kompositorisches Ideal stilbildend für die Entwicklung der mehrstimmigen Musik überhaupt. Das war von den restlos überzeugenden Stuttgarter Vokalisten am deutlichsten in dem ausgewogenen Satz von Orlando di Lasso zu hören, als die Stimmen im A-cappella-Stil kunstvolle Verschlingung und doch gleichzeitig Textausdeutung und Wahrung der Metrik realisierten. Das Saxophon wurde 1840 vom Belgier Adolphe Sax spät erfunden. Noch später, in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, begann es von New Orleans aus mit dem Aufkommen des Jazz’ seinen Siegeszug und ist mit diesem Stil wie auch mit Blues, Pop und Rock assoziiert. In den genannten Barockwerken und der zu hörenden Auftragskomposition von Christoph Grund kamen also zwei verschiedene Hörgewohnheiten zusammen. Um es sogleich vorwegzunehmen, die Klänge des weltweit renommierten Raschèr-Saxophon-Quartetts und die Stimmen der Kinder und Jugendlichen verschmolzen zu einer Einheit. Wer je das Saxophon-Quartett mit Bachs „Kunst der Fuge“ gehört hat, staunt über die klangliche Affinität des Rohrblattinstruments, das somit zu den Holzblasinstrumenten gehört, und der Kirchenorgel. Der Grund liegt darin, dass bei den Lingualpfeifen der Orgel wie beim Rohrblattinstrument eine durch Luftstrom schwingende Zunge Töne erzeugt, was diese Ähnlichkeit ausmacht. Daher ergänzten sich diese Klangpartner ideal. Der Stuttgarter Chor hatte unter seinem künstlerischen Leiter Rainer Johannes Homburg mit weiteren Kompositionen wie in dem hymnischen Gebet von Arthur Heyme, dem Lied im Volkston „Der Mond ist aufgegangen“ und einem musikalischen Gebet von John Tavener die stimmlichen Qualitäten in höchster Vollendung zelebriert. Und dies trotz der heiklen Akustik. Sie agierten dabei nach dem Aufführungsprinzip sehen (auf den Dirigenten), hören (auf die Nebenstimmen) und seismographisch reagieren. So setzte der Chor in exakter rhythmischer Koordination und harmonischer Übereinstimmung die Vorgaben der Partituren differenziert, präzis und auf den Taktschlag genau um. Andere Vortragsweisen erfordern auch eine andere Art des Einhörens: So beim Auftragswerk, für das Texte aus dem Buch Kohelet des Alten Testaments nur inspirierend, aber nicht strukturierend wirkten. Die Reihung von geflüsterten, gehauchten Passagen in Kombination mit gesprochenen, aufpeitschenden Rhythmen und das Steigern zu klanglichen Exzessen mit rhythmisch freier, individueller Vortragsweise endet im angestrebten klanglichen Chaos als Sinnbild einer Ordnung, die zur Unordnung wird. Dieser möglicherweise stilbildende Aspekt der Entwicklung und folgenden Auflösung ist dann sinnvoll, wenn diese experimentell wirkenden Techniken und Cluster der Textausdeutung dienen. Doch wenn auch im einzelnen interessante klangliche Mischungen (instrumental und vokal), finessenreiche Textdeklamation und differenzierte Vortragsweisen zu bewundern waren, so wirkte letztlich das Ganze doch überfrachtet und überladen, und das Saxophon-Quartett wurde mehr zum Klangteppich. Allerdings muteten manche gelungene Passagen wieder mystisch wie mittelalterliche Musik an – also unterm Strich doch eine lohnende Aufführung. Für das Saxophon-Quartett mit Christine Rall (Sopransaxophon), Elliot Riley (Alt), Andreas van Zoelen (Tenor) sowie Kenneth Coon (Bariton) schlug daher die eigentliche Stunde mit den Sätzen aus dem Concerto von Philip Glass. Dabei entfalteten sie einen großen klanglichen Reichtum an Farben und Registermischungen und das mit geschmeidiger spielerischer Brillanz. Da wurden die in extremen Lagen spieltechnischen Hürden des Instruments elegant übersprungen. Weltklasse.

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