Kaiserslautern Text sucht Autor

Die Theaterszene befindet sich im Umbruch. Viele Bühnenarbeiten gehen weg vom Wort, zumindest jenem eines einzelnen Texters. Ein Überblick über veränderte Festivals und Theaterstücke, die keinen erkennbaren Autor mehr haben.

Das Berliner Theatertreffen hat den den Stückemarkt in seiner bisherigen Form abgeschafft, das Entdeckerforum des Festivals. Ausgehend von der Annahme, es gebe in den deutschsprachigen Stadt- und Staatstheatern ohnehin schon eine ausufernde Autorenförderung, suchte man in ganz Europa nach „neuem“ Theater und sah sich einen erweiterten Textbegriff verpflichtet. Die Auswahl dreier nicht unbedingt textbasierter Theaterarbeiten besorgten die britische Regisseurin Katie Mitchell, das Theaterkollektiv Signa und der britische Theaterautor Simon Stephens. Das war genauso eine Zäsur wie die Entscheidung am Deutschen Theater Berlin, wo der Alleinjuror, der Kritiker Till Briegleb, für die Autorentheatertage 2014 nicht aus neu eingesandten Texten auswählte, sondern zurückliegende Jahrgänge sichtete und die aus seiner Sicht besten Texte noch einmal vorstellte. Weiterhin ausschließlich Neuem verpflichtet waren dagegen der Heidelberger Stückemarkt und das Mülheimer Festival „Stücke“. Dort bleibt man dem klassischen Autorentheater treu, muss aber damit leben, dass der Autor keine klassisch umrissene Figur mehr ist, wie er es noch zu Zeiten eines Peter Handke, Botho Strauss und Thomas Bernhard war. Die Textlage dagegen ist weiterhin überzeugend. In der zu Ende gegangenen Saison gab es vor allem sprachlich und formal experimentierende Texte auf hohem Niveau. Man könnte also zur Tagesordnung übergehen, wäre da nicht der Umstand, dass sich die Frage nach dem Wesen des Autors derzeit ganz neu stellt. Bei fast der Hälfte der für den Mülheimer Dramatikerpreis nominierten Theaterabende ging es darum, wer denn schreibt, wenn geschrieben wird. Eingeladen war zum Beispiel Rimini Protokolls in Koproduktion mit dem Staatsschauspiel Stuttgart erarbeitetes Stück „Qualitätskontrolle“ (der Abend erhielt den Publikumspreis des Festivals). Gespielt wird das Ergebnis einer dokumentarischen Lebenserforschung, die Helgard Haug und Daniel Wetzel mit der seit ihrem 18. Lebensjahr vom Hals abwärts gelähmten Maria-Cristina Hallwachs realisierten: Hier muss man von einem kollektiven Autor sprechen. Der zugrundeliegende Text umspielt den Alltag der Frau und reflektiert die verhängnisvolle Frage, was denn nun „lebenswertes Leben“ sei. Wer da sprachschöpferisch und wer zuspitzend, redigierend und korrigierend tätig war, ließe sich nur beantworten, hätten die Beteiligten während der Proben minutiös Buch geführt. Etwas einfacher scheint die Antwort auf die Frage der Autorenschaft im Fall von René Polleschs an den Münchner Kammerspielen uraufgeführtem „Gasoline Bill“ zu sein. Aber eben nur scheinbar. Pollesch generiert seine Texte auch zusammen mit den Schauspielern und wirft die Frage auf, wie genau das denn nun mit der Autorenschaft aussieht. Ähnliches gilt für Laura de Wecks „Archiv des Unvollständigen“, einer Koproduktion des Staatstheaters Oldenburg und der Ruhrfestspiele Recklinghausen. An diesem puzzleartigen Sprechmusikabend, in dem es um Lehrstellen in der Sprache und in Geschichten geht, wurde während der Proben weiter gearbeitet. Auch hier haben die Schauspieler und vor allem Uraufführungsregisseur Thom Luz am Text mitgearbeitet. Einmal mehr bestätigt sich: Was dereinst „Autor“ hieß, kann heute ein brüchiges, ein durchlässiges Wesen sein. Inwiefern das auch für die gilt, die sich weiterhin als klassische Autorin oder Autor verstehen, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt sie aber noch, trotz aller Unkenrufe. Das zumindest ist sicher und zeigt die Mülheimer Auswahl, die neben den „Profis“ Rebekka Kricheldorf („Alltag & Ekstase“; Uraufführung am Deutschen Theater Berlin) und Philipp Löhle („Du (Normen)“, Nationaltheater Mannheim) einmal mehr Debütanten präsentierte. Zum einen war da der 1986 in Leipzig geborene Wolfram Höll, dem für die lyrische Kindheitserkundung „Und dann“ auf Anhieb der Mülheimer Dramatikerpreis zugesprochen wurde. Zum anderen überzeugte der 1985 in Graz geborene Ferdinand Schmalz mit dem bissigen Volksstück „Am Beispiel der Butter“.

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