Kaiserslautern Stelldichein mit Pizza

Zum ersten Mal spielen die Berliner Philharmoniker den „Rosenkavalier“ von Richard Strauss – und wie! Die Orchesterleistung sowie das ungemein differenzierte Dirigat von Sir Simon Rattle sind grandios bei der Produktion der Osterfestspiele im Festspielhaus Baden-Baden. Hochkarätig ist auch die Sängerbesetzung. Die Inszenierung von Brigitte Fassbaender in Erich Wonders Bühnenbildern bleibt dagegen hinter den Erwartungen zurück.

Die Star-Mezzosopranistin, einst als Octavian mit Recht gefeiert, hat längst eine zweite Karriere als Theaterleiterin und Regisseurin gemacht. Sie ist mit der Komödie für Musik von Hofmannsthal und Strauss eng vertraut. Ihre Baden-Badener Regiearbeit zeigt dies eindeutig. Diese ist spielfreudig und lebendig in der Personenführung sowie reich an nicht uninteressanten Details. So ist es im dritten Akt der Ochs selbst, der die Feldmarschallin zu Hilfe ruft. Auch nimmt mit einer Umarmung Octavian hier bewusst Abschied von seiner ersten Liebe, ehe er sich ganz Sophie zuwendet. Die Verbindung der beiden jungen Liebenden wird am Ende von allen Beteiligten beifällig aufgenommen. Die eigentliche Schlussszene mit dem kleinen Mohren, der das verlorene Taschentuch Sophies sucht und findet, gibt es nicht. Auch gibt es kein „richtiges“ Bühnenbild, kein Schlafzimmer, kein Palais und kein Beisl, sondern Vorhänge, auf denen Bilder unterschiedlicher Art projiziert und immer wieder überblendet werden. Eine moderne Stadtlandschaft ist zum Beispiel im ersten Akt zu sehen, ein Schwimmbad ohne Wasser im dritten. Eine leere Fabrikhalle erscheint zu Beginn des zweiten Teils. Da ist eine sozialkritische Fußnote zu Frühkapitalist Faninal, der Näherinnen beschäftigt, die wahrscheinlich Uniformen herstellen. Am Ende schimmert eine Schneelandschaft durch, vielleicht so eine, wie sie der greise Strauss bei seinen Aufenthalten in Pontresina sah. Leider ergibt sich keine schlüssige Linie aus all den Einzelmomenten dieser szenischen Einstudierung, die seltsam wenig Stimmung erzeugt und entsprechend selten berührt. Besonders lustig wird es auch nicht. Es ist eher platt, wenn Leopold, der uneheliche Sohn des Ochs, auf Rollschuhen die Pizza für seinen Vater und Herrn zu dessen Stelldichein mit dem vermeintlichen Mariandel holen muss. Oder wenn Annina und Valzacchi mehrmals Kleider und Geschlecht tauschen. Was soll es, was bringt es? Die Stärke dieses „Rosenkavaliers“ ist die musikalische Einstudierung. Merkwürdig, dass Karajan nie mit den Berlinern den „Rosenkavalier“ aufgeführt hat. Gut, dass Simon Rattle das jetzt nachholt. Er entlockt dem Orchester eine faszinierende Fülle an Farbschattierungen und Ausdrucksgesten. Die dynamische Bandbreite und die Vielfalt der stetig wechselnden Stimmungen sind phänomenal. Rattle bleibt denn auch der – wie er selbst im Vorfeld sagte – hoch komplexen Partitur nichts an Intensität und Transparenz schuldig. Viele bislang unerhörte Details werden offenbar. Die Musik ist in einem lebendigen und dramatisch akzentuierten Fluss, dazu in jedem Takt ganz authentisch. Denn nie ist diese Strauss-Deutung genießerisch, larmoyant oder effekthascherisch. Allein die innere Bewegung im großen Terzett ist von überwältigender Wirkung. Erlesen ist ja auch die Besetzung mit der abermals überaus kunstvoll und feinsinnig agierenden Anja Harteros als Marschallin. Es erstaunt immer wieder, über welch große Zahl erlesenster Töne die Sängerin verfügt. Magdalena Kozená gibt mit sattem und beweglichem Mezzo den Octavian, während Anna Prohaska als kesse Sophie wieder Höhenzauber und ausgefeilte Stimmführung vereint. Peter Rose ist ein Ochs von Format, frei von derben Mätzchen, dennoch handfest und vor allem sehr genau und sicher im Singen. Auch Clemens Unterreiner macht als Faninal gesanglich viel mehr aus seinem Part als es gemein üblich ist. Wie immer in Baden-Baden sind auch die kleineren Partien sehr exquisit und meisterlich besetzt. Ein ganz besonderes Glanzlicht ist der Auftritt des Tenors Lawrence Brownlee als Sänger: Brownlee lässt seine Stimme bis zu höchsten Tönen ganz wundervoll strahlen und bietet Belcanto allererster Klasse.

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