Kaiserslautern Nicht nur einer wird gewinnen

2014 lief alles auf ein Duell zwischen „12 Years A Slave“ und dem Weltraumthriller „Gravity“ hinaus, doch dieses Jahr zeichnen sich noch keine klaren Favoriten im Oscar-Rennen ab. Nächsten Donnerstag werden die Nominierungen bekannt gegeben. Heiße Kandidaten sind Filme über einen Mathematiker, einen Physiker, einen Superhelden-Darsteller, einen Schlagzeuglehrer, einen Ringer-Manager, einen Bürgerrechtler, eine vermisste Ehefrau, eine Wandrerin und eine Hexe.

Als zuverlässiges Oscar-Barometer hat sich das stets im September laufende Filmfestival von Toronto erwiesen. Einen jurierten Wettbewerb gibt es nicht, aber der Gewinner des Publikumspreises war zuletzt auch einer der Oscar-Sieger: 2013 „12 Years A Slave“, 2012 „Silver Linings“, 2010 „The King’s Speech“, 2009 „Precious“. Demnach dürfte Benedict Cumberbatch eine Trophäe fast sicher haben: Im aktuellen Toronto-Siegerfilm „The Imitation Game“ (deutscher Start: 22. Januar) spielt der wandlungsfähige Brite den Mathematiker Alan Turing, der den Enigma-Code geknackt hatte und wegen seiner Homosexualität später ausgegrenzt wurde, gar im Gefängnis landete. Ein Oscar für Cumberbatch wäre zugleich Anerkennung für seinen Aufstieg zum Starschauspieler: Seit seiner knochentrockenen Superhirn-Neuerfindung für die BBC-Reihe „Sherlock“ führt an dem Sohn aus allerbestem Haus kein Weg vorbei. Gerade wenn es um Exzentriker-Rollen geht: Zuletzt spielte der nun 38-Jährige den Enthüller Julian Assange („Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt“), den übermenschlichen Enterprise-Gegner Khan („Star Trek Into Darkness“) und einen eher unentschlossenen Sklavenhalter („12 Years A Slave“). Konkurrenz machen dürfte ihm als „bester Hauptdarsteller“ allerdings ein Landsmann in einer Rolle, die Cumberbatch schon selbst gespielt hat: Eddie Redmayne ist in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ derzeit im Kino als Stephen Hawking zu sehen (Cumberbatch spielte 2004 die Titelrolle in „Hawking – Die Suche nach dem Anfang der Zeit“) und überzeugt durch einfühlsames, inniges Spiel, das den Charme des Astrophysikers betont. Zugleich hat sich der 33-Jährige („My Week With Marilyn“) akribisch in die Physis Hawkings eingearbeitet. Der auf den Erinnerungen von Hawkings erster Frau Jane beruhende Film fällt allerdings etwas weichgespült aus, gerade was das Leben mit schwerer körperlicher Beeinträchtigung angeht. Auch die Physik wirkt verspielt: So erklärt die ebenfalls für einen Oscar hoch im Kurs stehende Felicity Jones, die mit sanftem Eigensinn Jane Hawking spielt, den Unterschied zwischen Quanten- und Relativitätstheorie anhand von einer Erbse und einer Kartoffel. Gemüse aber scheint dieses Jahr durchaus oscarreif. Auch Meryl Streep, die für ihre saftige Rolle als blauhaarige Hexe im schön subversiven Märchenmusical „Into The Woods“ als beste Nebendarstellerin gehandelt wird, muss zunächst ein Loblied auf ihren Kräutergarten mit seinen Pastinaken und magischen Bohnen singen und stiehlt dem Rest des Ensembles prompt die Show. Als Nebenrollen-Favoritin gilt jedoch Patricia Arquette, die in Richard Linklaters grandioser Langzeitstudie „Boyhood“ über zwölf Jahre Drehzeit die Rolle der Mutter spielt, die sich nach einem späten Studium hocharbeitet, Pech mit Männern hat, aber doch alles zusammenhält. „Boyhood“, bei der Berlinale 2014 mit dem Regiepreis abgespeist, gilt auch als „Bester Film“-Kandidat. Doch schon die Aufmerksamkeit für diesen Autorenfilm, der viel über die Befindlichkeiten der Vereinigten Staaten der vergangenen Dekade erzählt (und ab 22. Januar wieder in den Kinos läuft), ist ein großer Erfolg: Schließlich zeichnet die Oscar-Academy eher selten Independent-Produktionen aus. Doch noch ist alles offen. Vor allem in der Schauspielerinnen-Kategorie, wo neben Felicity Jones vor allem Reese Witherspoon als starke Kandidatin gilt. In „Der große Trip – Wild“ (Start: 15. Januar) spielt sie eine vom Tod der Mutter und Drogenproblemen geplagte Frau, die zu einer riskanten Trekkingtour aufbricht. Als Anwärter auf gleich mehrere Oscars (Film, Regie, Darsteller) gilt der mit ungewöhnlicher Bildsprache punktende Film „Birdman“ von Alejándro González Iñarritu: Michael Keaton spielt hier einen abgehalfterten Superhelden-Darsteller (Kinostart: 29. Januar, lief auch beim Filmfestival Mannheim-Heidelberg). Sein Kollege Edward Norton hat Chancen auf eine Nebenrollen-Nominierung, doch gilt hier J.K. Simmons als Favorit, der in „Whiplash“ (Start: 19. Februar) markant einen Schlagzeuglehrer gibt. Zwei große Schauspielleistungen dominieren den Ringer-Film „Foxcatcher“ (Start: 5. Februar), für den allerdings nur Steve Carell im Nominierungstopf für die Darsteller-Statuette ist: Der sonst als Komiker bekannte US-Mime porträtiert in dem auf Tatsachen beruhenden Drama einen zu Größenwahn neigenden Milliardärssohn und Sponsor des US-Ringerteams – mit solcher Präzision, dass es dem Zuschauer kalt den Rücken hinab läuft. Ihm Konkurrenz macht allerdings auch David Oyelowo, der in „Selma“ (Start: 19. Februar) als Martin Luther King agiert. Der Film wurde in den USA als Kommentar zur aktuellen Rassismus-Debatte gelesen und könnte sich ebenfalls in mehreren Kategorien durchsetzen: Ava DuVernay erzählt in dem Drama von den Protestmärschen des Jahres 1965 zwischen den Orten Selma und Montgomery in Alabama. Sollte die Regisseurin für einen Oscar nominiert werden, wäre die 42-Jährige, die sich bisher mit TV-Dokumentationen einen Namen machte, die erste schwarze Filmemacherin, der diese Ehre zuteil wird. Die Golden-Globes-Verleihung am Sonntag könnte Aufschluss über ihre Chancen geben. Dort ist sie neben Alejandro González Iñárritu, David Fincher (für „Gone Girl“, ebenfalls ein Anwärter auf den Oscar als „bester Film“), Richard Linklater und Wes Anderson (für den 2014er Berlinale-Eröffnungsfilm „Budapest Hotel“) in der Kategorie „beste Regie“ nominiert.

x