Kaiserslautern Karate mit Charisma

„Immer nur den linken Fuß bewegen!“ Klar und präzise gibt Carlos Molina Anweisung für die Kata, den Kampf gegen einen Gegner, den es nicht gibt. In Zeitlupe demonstriert der 66-jährige Karategroßmeister, was er von seinen Schülern erwartet. Ein Durchlauf in Echtzeit folgt. Mit ungebremster Wucht fliegen Hände, Arme, Füße, Beine, fliegt der ganze Mann in Abwehrhaltung durch die Halle. Auf geht’s, jetzt alle.

Alle, das sind aufgeteilt in zwei Gruppen, über 80 „Karate-Lehrlinge“ von niedrigen Schülergraden bis zu den Schwarzgurten. Davon stehen gleich 20 in der Turnhalle der Betzenberg-Grundschule in Kaiserslautern. Auch die Meister wollen nur eins: Lernen von Carlos Molina, dem Träger des 8. Dan, dem Mann mit Charisma. Der Rheinland-Pfälzische Karateverband hatte am Samstag zum Shito Ryu-Lehrgang geladen. Gekommen waren Sportler von Berlin bis Baden-Württemberg, dem Saarland und natürlich aus Rheinland-Pfalz. Ausrichter war wie so oft der Budokan-Karate-Verein Kaiserslautern, der seit vielen Jahren eine innige Freundschaft zu dem aus Guatemala stammenden und in Berlin lebenden Karatelehrer pflegt. Karate ist nicht gleich Karate. Vier Stilrichtungen haben ihre Anhänger. Unterschiede sind für den Laien schwer erkennbar. Immer werden weiße Anzüge getragen, zusammengehalten von unterschiedlich gefärbten Gürteln. Schweißtreibend und eine körperliche Herausforderung, das ist Karate auf jeden Fall, egal welche Richtung, welch ursprünglicher Lehrer dahintersteht. Shotokan Karate ist die am meisten verbreitete Richtung. In Kaiserslautern findet sich daneben auch das Shito Ryu mit vielen Anhängern und erfolgreichen Karatesportlern. Carlos Molina ist zwar nicht der Vater dieser Stilrichtung, bei der es in erster Linie darum geht, voneinander und vom eigenen Körper zu lernen, aber er ist bis heute Schüler des in Osaka lebenden 97-jährigen Mabuni Kenei, dem Sohn des Gründers von Shito Ryu. Mabuni hat er Anfang der 1960-er in Guatemala kennen und schätzen gelernt, erzählt er am Rande des Lehrgangs. Eigentlich wollte Molina seinem Meister nach Japan folgen, ist aber 1976 auf dem Weg dorthin in Berlin hängen geblieben. Einmal im Jahr fliegt er nach Osaka, trifft sich mit Mabuni Kenei, den er über alles verehrt, wie er sagt. In diesem Jahr wird ihn Sandra Werling, eine der Trainerinnen beim Budokan Kaiserslautern, nach Japan begleiten. „Karate lehrt mich täglich Neues“, kommt die überzeugende Antwort auf die Frage, ob einer wie er, der seit über 50 Jahren Karate „lebt“, noch etwas lernen kann. Jeder Angriff lehre ihn. Jede Bewegung, sei es die des Gegners oder seine eigene, erzähle ihm Neues. „Was ist, wenn mein Knie verletzt ist, der Knöchel gerade nicht belastbar? Dann muss ich mir doch Gedanken machen, wie ich meine Bewegung anders umsetzen kann, um auch mit der Behinderung zum Ziel zu kommen?“ Klingt nach einer großen Portion Lebenserfahrung des sympathischen Berufskarateka, der mit aufblitzenden Augen erzählt, dass er immer nur Karate vor Augen hatte, nie etwas anderes tun wollte. Mittlerweile nehmen in der Halle die nackten Füße mehr und mehr den Schmutz des Hallenbodens auf, Schweiß füllt sichtbar die Karatejacken. Die Gesichter werden ernster, die Bewegungen genauer. Marcus Gutzmer, Budokan-Trainer, Vereinsvorsitzender, Landestrainer und selbst Träger des 5. Dan, beschreibt nach dem Lehrgang, wieviel es ihm bedeutet, hier mit dabei sein zu können. „Ich lerne so viele wesentliche Details. Die Anwendbarkeit der Kata ist eine Bereicherung. Es wird ganz klar, warum die Bewegungen so sind und nicht anders.“ Was Gutzmer so faszinieren lässt, demonstriert Molina zwischendurch. Eine Karateka greift ihn an, und plötzlich hat die Kata einen leibhaftigen Gegner, einen der gnadenlos sein kann, wenn nicht alles genau stimmt. Also bitte schön, noch einmal üben. Schneller geht es sicher auch. Zum Abschied kommt dann das Versprechen, im Dezember ist Molina, einer der letzten ganz großen Danträger im Shito Ryu, wieder in Kaiserslautern.

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