Kaiserslautern Heymes Zorn

Nach elf Jahren hört Hansgünther Heyme als Intendant des Theaters im Pfalzbau auf. Freiwillig tut er dies nicht, auch mit 79 Jahren wollte er weiterarbeiten. Aber die Ludwigshafener SPD hatte genug von dem streitbaren Theatermann. Jetzt ist Heyme tief gekränkt und inszeniert zum Abschied noch schnell ein zorniges Finale.

Dass einer wie Heyme sich still und leise in den Ruhestand verdrückt, war nicht zu erwarten. Einen letzten großen Auftritt hätte man ihm schon noch zugetraut, einen „Lear“ vielleicht, Shakespeares Geschichte vom alten, dummen König, der sein Reich verschenkt und darüber einsam und verrückt wird. Den „Lear“ hat Heyme nicht inszeniert, dafür das „Gilgamesch“-Epos, auch die Geschichte eines Königs, der allerdings kein Reich verschenken will, sondern weiterregieren bis in alle Ewigkeit. Auch Heyme wollte seinen Intendantenthron nicht räumen, wollte im fortgeschrittenen Seniorenalter weitermachen an einem Theater ohne Ensemble und in einer Stadt, in der Kultur als nicht unverzichtbar gilt. Als Regieassistent von Piscator hat er seine Laufbahn in den 1950er Jahren begonnen, war später Intendant in Köln, Stuttgart, Essen und Bremen, hat den Ruhrfestspielen neuen Glanz verpasst. Auch dem industriegeprägten Ludwigshafen hat er in elf Jahren ein wenig Theaterkunst abgerungen. Er hat hier internationale Festspiele und Türkeiwochen kreiert, hat eigene Inszenierungen gewagt, in Koproduktion mit Theatern, die manchmal weit weg waren. Und er hat Laien, Kinder wie Erwachsene, dafür begeistert, selbst Theater zu spielen. Ein bisschen wurde Ludwigshafen zu einer Theaterstadt, mit Castings, Probenarbeit, Begleitprogramm. „Als ich hierher kam“, sagt Heyme, „wurde das Publikum nur zu Gastspielen eingeladen, es gab keine Beziehung zu einem Ensemble, zu einem Spielplan und einer dramaturgischen Gestaltung. Das hat sich geändert.“ Ein „Theatermodell für Städte in einer Zwischensituation“ nennt Heyme seinen Weg. Gewürdigt wurde dies am Ende nur von wenigen. Den Ludwigshafener Sozialdemokraten war der linke, unbequeme Theatermann von Anfang an nicht willkommen. Die CDU-Kulturdezernentin hatte ihn geholt, Koalitionspartner SPD dieser Entscheidung erst nach Bedenkzeit zugestimmt. Als Heyme das Berliner Ensemble zu einer Brecht-Woche einladen wollte und dafür zusätzliche Mittel brauchte, musste dies gegen die Stimmen der SPD durchgesetzt werden. Und als Heyme seinen Etat überzog, wurde der Ton endgültig rauer, die Kulturdezernentin konnte die überfällige Etaterhöhung nur unter Schwierigkeiten durchsetzen. Und dann kam der „Ring“. Für Heyme war die Chance, gemeinsam mit Karlheinz Steffens, Chefdirigent der Staatsphilharmonie und damals gleichzeitig GMD in Halle, Wagners Mammutwerk auf die Bühne zu bringen, ein langgehegter Traum. Seit den 1970er Jahren hatte er immer wieder Opern inszeniert. Als Steffens ihm den Vorschlag einer Kooperation machte, habe er „keine halbe Sekunde gezögert“. Das Vorhaben gelang, aber es wurde eine große Kraftanstrengung, prägte drei Spielzeiten lang das Festspielprogramm und kostete 1,2 Millionen Euro. Die SPD fand das alles zu elitär, war zu keiner Vertragsverlängerung zu bewegen. Es gab nur noch eine Schonfrist von eineinhalb Jahren, schließlich musste ein Nachfolger gefunden werden. In einem „Positionspapier“ schrieben die Kommunalpolitiker nieder, wie sie sich Theater in Ludwigshafen so vorstellen. „Kleinkariert“ nennt Heyme die Ludwigshafener SPD. Eine „Aversion gegen Kulturausgaben“ herrsche in dieser Partei, um jeden Cent habe gerungen werden müssen. Als Heyme und seine Ehefrau Eva Adorjan, die die Jugendtheaterprojekte leitet, in einem leerstehenden Straßenbahndepot endlich Probenräume fanden, mussten sie 800 Euro Miete an die stadteigenen Verkehrsbetriebe zahlen, denen die Immobilie gehörte. Heyme kann sich hier in Rage reden, zählt die Versäumnisse der Stadtpolitik auf, zum Beispiel dass man das Corso, ein Fünfziger-Jahre-Kino, das während der Sanierungszeit des Pfalzbaus als Ausweichspielstätte diente, nicht erhalten habe. Dann die Sanierung selber, die über 30 Millionen gekostet hat und für das Theater eingeschränkte Spielmöglichkeiten zur Folge hatte, weil Vorstellungen mit Publikum auf der Bühne aus Brandschutzgründen verboten wurden. „In Trier, Mainz, Mannheim, überall ist das möglich, nur nicht in Ludwigshafen“, schimpft Heyme. Wer in diesen Tagen mit Heyme spricht, der trifft auf eine Mischung aus aktuellem Zorn und etwas verklärender Rückschau. Mit seiner Meinung hält er jedenfalls nicht hinterm Berg, das bekamen gerade die geladenen Gäste einer sonderbaren Abschiedszeremonie am helllichten Nachmittag im Theaterfoyer zu spüren. „Sippenhaft“ nannte er da unter anderem die Tatsache, dass wie er auch seine Ehefrau keinen neuen Vertrag für die Jugendtheaterprojekte erhalten hat. Den Schuldigen hat er auch schon ausgemacht, seinen Nachfolger, dessen Namen er nicht in den Mund nimmt und der „noch nie ein Theater geleitet hat“. Und was wird jetzt? Gestern hat Heyme als Abschluss seiner Arbeit in Ludwigshafen noch ein Buch vorgestellt, es schildert vor allem sein „Gilgamesch“-Projekt, das er in fast einjähriger, mühsamer Probenarbeit mit Laiendarstellern aus der Region entwickelt hat. Das kleinformatige, an eine Hausbibel erinnernde Werk ist aber auch ein kraftvolles Statement mit Heymes Thesen zu Theater und Politik in fetter Großschrift. Ein Resümee ist das Ganze aber nicht. Heyme will weitermachen, wenn nicht in Ludwigshafen, dann halt anderswo. Dutzende Bewerbungen hat er verschickt, einen neuen Intendantenjob aber nicht gefunden. Jetzt macht er Shakespeares „Sturm“ mit bulgarischen Migranten in einem Mannheimer Problemviertel in der Neckarstadt, Ort und Finanzierung sind noch offen. Wieder eine Geschichte von einem alten Herrscher. Der entfacht mit Zauberkräften ein grässliches Unwetter und nimmt späte Rache an all denjenigen, die ihn einst um sein angestammtes Reich gebracht haben.

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