Kaiserslautern Hässlich klingt’s aus mystischem Urgrund

Als Kirill Petrenko Ende Juni von den Berliner Philharmonikern zum neuen Chefdirigenten gewählt wurde, waren die ersten Reaktionen in der Musikwelt durchweg positiv. Man beglückwünschte die Berliner zu dieser Wahl. Doch dann mischten sich hässliche Töne unter die Lobeshymnen auf den russisch-stämmigen Dirigenten, dessen jüdischer Glaube völlig unvermittelt zum Thema wurde.

Eigentlich wusste in Fachkreisen niemand, dass Kirill Petrenko Jude ist, auch wenn dies in seinem Wikipedia-Eintrag nachzulesen ist. Er selbst hat dies nirgendwo thematisiert, wird es so schnell auch nicht mehr tun können und wollen, nicht zuletzt deshalb, weil der russische Dirigent derzeit keine Interviews mehr gibt. Man kann es dem ebenso öffentlichkeits-scheuen wie manchmal geradezu schüchtern auftretenden Petrenko nicht verübeln. Was Teile des deutschen Feuilletons in den vergangenen Tagen über ihn geschrieben haben, war schlichtweg skandalös. Und es offenbarte eine Form von Chauvinismus, ja Antisemitismus, den man nicht für möglich gehalten hätte. Dabei spielt die Religionszugehörigkeit doch in der Musik glücklicherweise überhaupt keine Rolle. Selbst der vielleicht größte, bestimmt aber berühmteste Antisemit in der deutschen Musikgeschichte, selbst Richard Wagner, der mit der unfassbaren Hetzschrift „Das Judenthum in der Musik“ (1850) mit das Widerlichste verbreitet hat, was wir in diesem Zusammenhang kennen, hatte keine Probleme damit, dass sein Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ 1882 von dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi uraufgeführt wurde. Und seine Versuche, beispielsweise in den Werken von Felix Mendelssohn-Bartholdy so etwas wie Spuren jüdischer Musik zu erkennen, beleidigen die Intelligenz, die den Meister aus Bayreuth ja durchaus auch auszeichnete. Es gab und gibt den Einfluss jüdischer Volksmusik, bestimmt aber nicht bei Mendelssohn, dessen musikalisch-kulturelle Sozialisation die eines typischen Berliner Bildungsbürgers war. Bei Mendelssohn finden wir den Einfluss Mozarts, Beethovens. Und entdecken die Genialität eines musikalischen Ausnahmetalents. Das von Wagner vermeintlich erkannte Jüdische ist eine Chimäre. Besser gesagt: eine ebenso dumme wie unwahre Behauptung. Doch das führt ja eigentlich zu weit. Dennoch fragt man sich, warum in einem Online-Beitrag der „Welt“ ganz unvermittelt Petrenkos jüdischer Glaube eine Rolle spielte: Es wurde darin erwähnt, dass nun mit Daniel Barenboim (Staatsoper Unter den Linden) und Iván Fischer (Chefdirigent des Konzerthausorchesters) drei musikalische Chefposten in Berlin mit Juden besetzt seien. Der Eintrag wurde kurze Zeit später verändert und auf die Geschichte der Berliner Philharmoniker zugespitzt, dennoch fragt man sich schon: Wen interessiert das? Was soll uns diese Information sagen – die zudem zunächst noch mit einem angedeuteten Verhältnis Petrenkos mit einer Bayreuth-Sängerin garniert wurde? Noch schlimmer wurde es dann aber in einem Internet-Kommentar des NDR, der die Vorgeschichte der Wahl Petrenkos mit aufgriff und damit natürlich auch den im ersten „Wahlgang“ gescheiterten Topfavoriten Christian Thielemann mit ins Spiel brachte. Daraus konstruierte die Autorin nun mit Hilfe des Personals von Wagners „Ring“ einen Konkurrenzkampf der beiden Dirigenten, der die Grenzen des guten Geschmacks weit hinter sich lässt. Aus dem deutschen Dirigenten Thielemann wird der germanische Gott Wotan, dem der Russe und Jude Petrenko in Gestalt des Zwergen Alberich seine Herrschaft streitig machen will Es hagelte Protest der Leser, der NDR brauchte lange, viel zu lange, bis er sich dazu entschloss, den Kommentar von der Seite zu nehmen. Und man rätselt, wie solche Entgleisungen bei einem öffentlich-rechtlichen Sender möglich sind. Aber vielleicht ist ja die ganze Klassikszene bei weitem nicht so Chauvinismus-resistent, wie sie immer gerne vorgibt, zu sein. Schließlich sahen sich auch Petrenkos Vorgänger Claudio Abbado und vor allem Simon Rattle bei ihren Wahlen zum Chef der Berliner Philharmoniker 1989 beziehungsweise 1999 mit Vorwürfen konfrontiert, die mit ihrer künstlerischen Qualifikation überhaupt nichts zu tun hatten. Man fürchtete nach der langen Ära Karajan, dass mit Abbado quasi ein Paradigmenwechsel stattfinden würde, weg vom klassisch-romantischen deutschen Kernrepertoire, hin zur Moderne, zu neuen musikalischen Welten wie Frankreich. Diese Neuorientierung vollzog dann allerdings vor allem Rattle, dem man mehr oder weniger offen und ungeniert ins Gesicht sagte, dass er wohl mehr für die seichte, angelsächsisch-amerikanische Musiziertradition stünde, nicht aber für die Musik im Land der Dichter und Denker. Es war immer von einer völlig irrationalen Tiefe, von einer Art Urgrund die Rede, es ging um den vermeintlich deutschen Klang, den dieses Orchester seit Furtwänglers Zeiten pflege, den es aber eben genau so wenig gibt wie das Jüdische in der Musik oder gar beim Dirigieren. Man hat schon das Gefühl, dass in manchen Köpfen die Berliner als das deutscheste aller deutschen Orchester gelten, weshalb sie denn vielleicht auch vom deutschesten aller deutschen Dirigenten geleitet werden sollten, von Christian Thielemann also. Die Musiker des Orchesters sind natürlich vieles, sie sind auch deutsch, vor allem aber sind sie ein Klangkörper, der sich aus Künstlern aus der ganzen Welt zusammensetzt und zudem auch ein internationaler Botschafter unseres Landes ist. Um diesem Auftrag nachzukommen, brauchen sie keinen deutschen Dirigenten, sondern einen außergewöhnlich guten. Einen der besten unserer Zeit haben sie sich ohne jeden Zweifel ausgewählt: Kirill Petrenko.

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