Kaiserslautern Eine Jahrhundert-Stimme

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Als deutsches Pendant zur Callas wird sie manchmal bezeichnet – um ihren Rang in der Operngeschichte des 20. Jahrhunderts greifbar zu machen. Gewiss, auch die vor am 9. Dezember 1915 im heute polnischen Jarotschin bei Posen geborene Elisabeth Schwarzkopf war eine Diva – aber damit erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten. Eine Jahrhundertsängerin allerdings war auch sie.

Emotion pur, totale Identifikation mit der Rolle, dramatische Wahrheit nicht selten auf Kosten des Wohlklangs und der musikalischen Feinheiten: Das ist die eine, die Callas. Das artistische Ausfeilen der Details, die Perfektion des Klangs und damit auch des Ausdrucks: Das war die andere, die Schwarzkopf. „Ich habe Dir schon vor Wochen gesagt, dass sie vielleicht die beste Sängerin Europas ist“, sagte Herbert von Karajan einst zu seinem Produzenten Walter Legge, dem späteren Gründer des London Philharmonia Orchestra: EMI-Produzent Legge war seit 1946 einer der Direktoren der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, kam natürlich auch zum Gastspiel der Wiener Staatsoper 1947 in London und wurde der Ehemann der jungen Sopranistin, die nach ihrem Debüt 1938 als „Parsifal“-Blumenmädchen an der Berliner Staatsoper schon 1942 in Wien sang und dort zum legendären Mozart-Ensemble der Nachkriegsjahre gehörte. Die junge Sopranistin mit der schönen Stimme, ausgebildet unter anderem bei der ebenfalls legendären Koloratursopranistin Maria Ivogün, sang damals noch viele Partien, von Zerbinetta („Ariadne auf Naxos“), Blondchen und bald auch Konstanze („Entführung aus dem Serail“) bis Nedda („I Pagliacci“) und Violetta („La Traviata“) das ganze Repertoire für lyrische Koloratursopranistinnen. Diese Stimmartistik allerdings war nicht so sehr ihre Welt. Die Schwarzkopf bleibt vor allem in Erinnerung in den Partien, auf die sie sich bis zu ihrem Abschied von der Bühne beschränkte, die sie perfektionierte und in denen sie nahezu konkurrenzlos blieb: Zweimal Strauss – die „Rosenkavalier“-Marschallin, die „Capriccio“-Gräfin – und dreimal Mozart – die „Figaro“-Gräfin, Elvira („Don Giovanni“) und Fiordiligi („Così fan tutte“), dazu die Alice Ford in Verdis „Falstaff“. Hier kam zum Vorschein, was sonst hinter der Maske verschwand: das Komödiantische. Nicht, dass sie anderes nicht gesungen hätte, aber die Schwarzkopf gehörte, wie Legge, wie Karajan ,zu jenen Perfektionisten, die in den neuen Aufnahmetechniken die Möglichkeit sahen, ihrem Klangideal so nahe wie möglich zu kommen. Das hieß für Schwarzkopf keineswegs, im Tonstudio das zu erreichen, was die Natur nicht ermöglichte Vielmehr bedeutete es, sich Zeit zu nehmen, zu proben, zu arbeiten, bis die letzte Silbe perfekt erklang, die kleinste Phrasierung saß. Ein geradezu manischer Drang zum Detail. Als manieristisch wird folgerichtig dieser Gesangsstil kritisiert. Ihre hohe Kunst der Phrasierung machte sie gleichwohl dann auch zur idealen Liedinterpretin. „Talent muss ja jeder mitbringen erst mal, aber dazu gehört dann eigentlich 99 Prozent Arbeit, viele sagen, es gehört Glück dazu, ja. Aber sonst: arbeiten und arbeiten und arbeiten, das ganze Leben“, hat sie gesagt. Streng und unerbittlich war sie gegen sich selbst – aber auch als Lehrerin. Ihre Schüler, unter ihnen Thomas Hampson, Matthias Goerne und Simone Kermes, sprechen dennoch bis heute mit Ehrfurcht von ihr. Das Denkmal der Grande Dame geriet allenfalls ein wenig ins Wanken, als – spät erst – ihre NSDAP-Parteimitgliedschaft bekannt wurde. Sie reagierte wie die meisten, die man damit konfrontiert: mit Abwehr, uneinsichtig. Dann vielleicht doch schon zu sehr in ihrer Kunstwelt lebend. Elisabeth Schwarzkopf starb am 3. August 2006, im Alter von 91 Jahren. Ihre Kunst ist heute nicht unumstritten, aber unbestritten groß.

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