Porträt Autorin Lilo Beil erzählt Pfälzer Zeitgeschichte im Krimigewand

 „Ich will nicht belehren, sondern berühren“, sagt Lilo Beil – hier bei einer Lesung in Kaiserslautern – über ihr Schreiben.
»Ich will nicht belehren, sondern berühren«, sagt Lilo Beil – hier bei einer Lesung in Kaiserslautern – über ihr Schreiben.

Lilo Beil ist in der Süd- und Nordpfalz als Tochter einer Westpfälzerin aufgewachsen und schreibt über einen Ermittler aus Ludwigshafen, dessen Fälle auch mal in der Südwestpfalz spielen: Die Autorin trägt ihre frühe Heimat im Herzen. Und ein Thema bewegt sie besonders: Wie die dunkle NS-Vergangenheit in der Pfalz Spuren hinterließ. Eine überraschende Begegnung inspirierte sie dabei zu ihrem aktuellen Buch „Lebende Schatten“.

„Es ist immer eine Gratwanderung, wenn man sich an realen Personen orientiert“, sagt Lilo Beil über ihr Schreiben, das oft Schicksale aus der Vergangenheit und wahre Begebenheiten aufgreift – und ohne pädagogischen Zeigefinger Erinnerungsarbeit leistet. Sie folge aber keinem bewussten Gesamtkonzept: „Fiktion und Realität vermischen sich. Ich weiß oft gar nicht, woher das kommt, es ergibt sich beim Schreiben.“

Ihre wiederkehrenden Themen aber sind Kinderschicksale und das Nachwirken der Untaten der NS-Zeit. Ihr erster Krimi „Gottes Mühlen“ spielte 1957, als die Aufarbeitung der Verstrickungen so mancher Honoratioren in NS-Gräuel noch zäh voranging. Der aktuellste mit dem bezeichnenden Titel „Lebende Schatten“ ist 2007 angesiedelt, führt aber auch in Beils Geburtsort Klingenmünster der 1940er-Jahre.

Schatten der Vergangenheit

Elf ihrer 13 Langkrimis handeln von Kommissar Friedrich Gontard von der Kripo Ludwigshafen: ein feingeistiger, kunstsinniger Mann mit festem moralischen Kompass, ein 1924 geborener nachdenklicher Pazifist und Romantiker. Seit er „1941, von der Schulbank weg in den Krieg gezerrt“ wurde, wie es in einem Band heißt, ist er davon angetrieben, „der Gerechtigkeit auf die Sprünge zu helfen“.

So kommt er etwa 1988 in „Die Nacht der grauen Katzen“ einem (fiktiven) Südpfälzer Arzt auf die Spur, der ins NS-Euthanasieprogramm verwickelt war. Im 1996 spielenden Band „Das gläserne Glück“ geht es um Deportationen. „Eine feste Burg“ spielt 2002 und thematisiert die Rolle der protestantischen Kirche in der NS-Zeit. Auch in den jüngeren Bänden widmet sich ihr pensionierter Aufklärer ungesühnten Morden aus dunkler Zeit und arbeitet – wie seine Autorin – wider das Vergessen an. „Mein Leben hat mich hellsichtig gemacht für die Verbrechen der Vergangenheit, die oft eine Grundlage sind für neue, aktuelle Verbrechen“, sagt er in „Lebende Schatten“.

Die Stolpersteine der Brüder Gustav und Alfred Levy in Klingenmünster. Sie wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert und späte
Die Stolpersteine der Brüder Gustav und Alfred Levy in Klingenmünster. Sie wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert und später in Auschwitz ermordet.

Beil schreibt aber auch über Missbrauch, Mobbing, Depression oder Stalking. „Das sind Themen unserer Gesellschaft, die man gut in Krimis verarbeiten kann. Das Genre wird da aber leider unterschätzt“, sagt die Autorin, die mit diesem Anspruch aus der Reihe der Regionalkrimiautoren heraussticht. „Empathie und tiefes Mitgefühl mit den Opfern“ bewege sie dazu, sich immer wieder mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen, wobei sie stets auf ihre Fantasie setzt und daher die Krimistruktur nutzt, schließlich schreibe sie keine Biografien. „Ich will nicht belehren, sondern berühren.“

Die Figur habe einfach „an ihre Haustür geklopft“, blickt Lilo Beil zurück auf die Anfänge der seit 2007 laufenden Reihe um Friedrich Gontard. „Ich bin eigentlich keine große Planerin.“ Beil ist durch den von ihr hoch geschätzten Hölderlin einst auf den Namen ihrer Hauptfigur gekommen: Friedrich nach dessen Vorname, Gontard nach Hölderlins unglücklicher Liebe Susanne Gontard. Im zweiten Band wiederum trifft Gontard seine spätere Frau Anna, in der Nordpfalz geboren und wie Beil Pfarrerstochter: Hier fließen Beils Erinnerungen an ihre eigene Kindheit ein, die sie in Pfarrhäusern in Dielkirchen und Winden verbracht hatte.

Von Hölderlin – hier die Skulptur in seiner Heimatstadt Nürtingen – hat Lilo Beils Kommissar seinen Vornamen bekommen.
Von Hölderlin – hier die Skulptur in seiner Heimatstadt Nürtingen – hat Lilo Beils Kommissar seinen Vornamen bekommen.

„Wo man Kind war, da ist Heimat“, heißt es im Band „Letzte Rosen“, was auch erklärt, warum die Autorin gern Erlebtes oder Gehörtes aus der eigenen Kindheit verarbeitet. „Ich bin geprägt von der Zeit“, sagt die 76-Jährige, die schon von klein auf schreibt. Nach dem Anglistik- und Romanistik-Studium in Heidelberg wurde sie Lehrerin. 1997 ist ihr erstes Buch erschienen, „Maikäfersommer“, Geschichten der 1950er-Jahre aus ihrer Perspektive. Sie sieht es als „idyllische Keimzelle“ ihrer Kriminalliteratur. Seither widmet sie sich eher gebrochenen, bedrohten Idyllen. „Ich verarbeite, was mich bewegt und berührt hat, beim Schreiben kommt immer so viel hoch“, sagt Beil.

So erklären sich auch ihre Schauplätze. Winden taucht als „Pfaffenbronn“ auf, in „Die Reise des Engels“ geht es fiktionalisiert in die Westpfalz, nach Kottweiler-Schwanden und Steinwenden. Dort, bei den Großeltern, hatte sie stets die Ferien verbracht, Schwester und Schwager leben noch hier.

Die Ludwigshafener Familie Michel. Eine Kurzdoku unter dem Titel „Koffer gepackt und überlebt“ erzählt von ihrem Schicksal, zu f
Die Ludwigshafener Familie Michel. Eine Kurzdoku unter dem Titel »Koffer gepackt und überlebt« erzählt von ihrem Schicksal, zu finden auf der Webseite des Vereins »Ludwigshafen setzt Stolpersteine«:

Der aktuelle Band wiederum führt nach Klingenmünster und ist von einer Kindheitsbekanntschaft, einem alten Foto sowie einem Kontakt nach England inspiriert: „Lebende Schatten“ erzählt vom Schicksal der jüdischen Ludwigshafener Familie Michel: Nur die Tochter Ursula hatte den Holocaust überlebt – sie wurde durch einen Kindertransport nach England gerettet. Ihre Schwester Lilli aber wurde wie die Eltern getötet.

Die Michels waren mit den Brüdern Alfred und Gustav Levy aus Klingenmünster verwandt, wo die Familie oft die Ferien verbrachte. Lilo Beil hatte die Brüder Levy in ihrem Buch „Das gläserne Glück“ von 2014 erwähnt, das von der Deportation Pfälzer Juden 1940 ins Lager Gurs handelte.

Post aus England

Anfang 2020 habe sie dann plötzlich Post aus dem englischen Leeds bekommen, nachdem dort die Tochter von Ursula Michel, Judith Rhodes, verspätet auf „Das gläserne Glück“ gestoßen war. Den Kontakt hatte der Klingenmünsterer Heimatforscher Erich Laux hergestellt, berichtet Beil.

Später trafen sich Beil und Rhodes dann, als diese zu einer Stolpersteinverlegung nach Ludwigshafen kam. „Ich hatte das Gefühl, als würden wir uns schon ewig kennen. Es war wie eine Fügung.“ Rhodes berichtete ihr von ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter. Und so reifte in Lilo Beil die finale Idee für „Lebende Schatten“: Der Roman erzählt fiktionalisiert von Rhodes Mutter und ihrer im KZ gestorbenen Schwester. Leni Grünewald nennt Beil die Zwölfjährige, die nicht nach England ausreisen durfte, und im Buch in Klingenmünster versteckt wird. Jedoch wird sie denunziert – und Gontard spürt nun einer Person nach, die mit dem damaligen Verrat zu tun hat.

Das Zusammentreffen mit Judith Rhodes, Tochter der Holocaust-Überlebenden Ursula Michel aus Ludwigshafen, inspirierte Lilo Beils
Das Zusammentreffen mit Judith Rhodes, Tochter der Holocaust-Überlebenden Ursula Michel aus Ludwigshafen, inspirierte Lilo Beils aktuelles Buch.

Sensibel porträtiert Lilo Beil die seelischen Nöte des Mädchens. Auch Nachbarinnen, die helfen wollten, aber es nicht konnten, kommen vor. Vorbilder für diesen – ursprünglichen – Erzählstrang sind Beils verstorbene Patin Emilie Degitz und deren Freundin Inge Hummel, die sich noch gut an die Brüder Levy erinnerten, die so freundlich zu ihnen gewesen seien. Sie hätten sogar die Eltern gefragt, ob sie die Levys nicht verstecken könnten, habe Inge Hummel ihr einmal berichtet, erinnert sich Beil an die erste Idee für ihr jüngstes Buch – und für die Krimihandlung. Die echte Michel-Tochter dagegen sei nicht versteckt oder denunziert worden.

Auch ein Foto von Ursula und Lilli Michel, das sie bei einem Besuch ihrer Großonkel Levy in Klingenmünster zeigt, und das in Erich Laux’ Buch „Die Geschichte der Juden von Klingenmünster“ zu sehen ist, habe sie gepackt. „Es hat mich sehr berührt zu wissen, dass nur eine überlebt hat.“

Judith Rhodes hat Beil weitere Fotos ihrer Familie gezeigt und einen Brief der Mutter, der Beil „unter die Haut gegangen ist“ und den sie im Buch nachempfunden hat. Die Engländerin sei damit einverstanden, wie Lilo Beil die Geschichte ihrer Familie adaptiert und ihre Mutter dargestellt habe: „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, das fand ich sehr beruhigend.“

Und Beil schreibt natürlich weiter. Derzeit bereitet sie sich aufs Finale des Mundart-Wettbewerbs Dannstadter Höhe vor, bei dem sie mit einem Prosatext beteiligt ist, über den sie noch nichts verraten darf außer den Titel: „Die Guggugsuhr“. Und in Zukunft ein neuer Gontard? „Ich warte mal, was auf mich zukommt“, ist Lilo Beil offen für neue Inspiration.

Zur Person

Die Autorin wurde 1947 als Lilo Seiferling in Klingenmünster geboren, Vater Rudolf Seiferling war dort protestantischer Pfarrer, ihre Mutter kam aus Steinwenden, wohin die Familie später auch wieder zog. Lilo Beil wuchs im nordpfälzischen Dielkirchen und südpfälzischen Winden auf, studierte nach dem Abitur in Landau in Heidelberg, arbeitete als Gymnasiallehrerin und lebt seit den 1970ern im Vorderen Odenwald. 1997 kam ihr erstes Buch heraus, der Erzählband „Maikäfersommer“. Seit 2007 erscheint ihre bislang elfbändige Reihe um Kommissar Gontard, drei Krimibände drehen sich um Charlotte Rapp. Schauplätze sind fiktionalisierte Pfälzer Orte sowie Ludwigshafen, Dahn, Speyer und das Elsass, aber auch Heidelberg, Weinheim, Schwetzingen. Alle Bücher erscheinen im Conte Verlag aus St. Ingbert.

Termine

  • Lilo Beil ist im Finale des 36. Mundart-Wettbewerb Dannstadter Höhe am 7. Juli in Dannstadt mit einem neuen Prosatext vertreten, 19 Uhr, Zentrum Alte Schule
  • Lesungen aus „Lebende Schatten“ gibt es am Samstag, 21. Oktober, 16 Uhr in der Nikolauskapelle Klingenmünster, sowie am Samstag, 25. November, 18 Uhr, im Café Nostalgie Impflingen. Weitere Infos: www.lilobeil.de/termine

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