Kaiserslautern Am Ende die Schönheit

91-85174147.jpg

„City of Music“ – das klingt nach Liverpool, der Grunge-Wiege Seattle, nach Nashville und ein bisschen nach den Musikstudios der Beale Street in Memphis. Die Unesco hat 2014 der Stadt Mannheim diesen Titel verliehen, dem deutschen Zentrum für Popmusik.

Xavier Naidoo, Laith Al-Deen, Joy Fleming und Joris starteten in Mannheim ihre Karrieren. Und eng mit dem Ruf der Quadratestadt verbunden ist natürlich auch die Popakademie: die University of Popular Music and Music Business. Seit dem Herbstsemester 2015 haben die Studenten dort die Möglichkeit, sich in einem neuen Studiengang ausbilden zu lassen: „Weltmusik“ – scheint einer „Stadt der Musik“ gerecht zu werden. Dass der neue Bachelor-Studiengang in einem Umfeld entstand, in dem über 40 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben – davon allein die Hälfte einen türkischen – ist kein Zufall. Dass es insbesondere die arabisch-orientalischen Einflüsse sind, die das Musizieren an der Popakademie nun prägen, auch nicht. Denn auch ein Großteil der Studenten habe einen Migrationshintergrund, sagt Udo Dahmen, Künstlerischer Direktor der Popakademie. „Der Austausch geht über die Musik, noch vor der Sprache. Denn um miteinander Musik zu machen, braucht es sie nicht.“ Der Studiengang, der die jungen Künstler an der orientalischen Oud, der türkischen Baglama (beides Saiteninstrumente) und Mediterranean Percussion-Instrumente (die von Marokko bis nach Indien gespielt werden: etwa Darbuka, Riq, Tabla, Duduk) ausbildet, sei einzigartig in Deutschland, erklärt Dahmen. Vom Instrumentalunterricht, über Bandtraining bis hin zu Musiktheorie – westliche wie türkisch-arabische –, Gehörbildung, Musikproduktion und betriebswirtschaftlichen Grundlagen reicht die Bandbreite des Bachelor-Studiengangs. Hozan Temburwan (33) ist einer von zwölf Studierenden. Seit 20 Jahren hat er sich verschiedenen Instrumenten verschrieben, an der Popakademie studiert er die Baglama, spielt außerdem Gitarre. Über die Orientalische Musikakademie, die nur wenige Querstraßen entfernt ebenfalls im Mannheimer Ausgehviertel Jungbusch angesiedelt ist, kam der Kontakt zustande. Mehmet Ungan ist dort für die künstlerische Ausrichtung zuständig, nun ist er gemeinsam mit Johannes Kieffer Projektmanager an der Popakademie. „Den Unterschied zwischen verschiedenen Kulturen hat es nie gegeben“, sagt Dahmen. Nicht, weil es tatsächlich keine Unterschiede gäbe, sondern weil es sich bei den arabischen Kulturen und den Nationen rund um das Mittelmeer um „hochentwickelte Musikkulturen“ handelt, „die dazu beigetragen haben, dass sich die Musik bei uns erst so entwickelt hat, wie wir es kennen“; egal ob die aus Anatolien stammende Baglama als Vorläufer der europäischen Gitarre oder die Oud als Vorgänger der europäischen Laute. Der Kulturplan 2020 des Landes Baden-Württemberg sieht ohnehin die Förderung interkultureller Musikprojekte vor. Für Projektmanager Ungan ein echter Glücksfall: „Ich war verzweifelt. Wir hatten kaum Zugang zu akademischer Ausbildung.“ Dabei habe er sich schon für seine eigene musikalische Laufbahn gewünscht, an einer Hochschule die Instrumente seiner Heimat zu erlernen. Das sei damals aber nicht möglich gewesen, umso mehr freue er sich jetzt, wenn er den jungen Studenten beim Musizieren zusehen könne. Dass die Weltmusik mindestens ebenso vielseitig ist, wie die Popmusik, hört man beim World Music Café – in lockerer Atmosphäre treffen sich die verschiedenen Formationen zur Bandprobe, wie im „Wohnzimmer“. Temburwan, der seine eigene Musik durch Jazz, Latin und orientalische Musik beeinflusst sieht, versucht aus den vielfältigen Einflüssen seinen eigenen Klang zu entwickeln; Türkan Kömekci (33), die ebenfalls das Spiel auf der Baglama erlernt, möchte mit ihrer Musik stärker auf traditionelle Folklore aus Anatolien setzen. „Es ist ein akustischer, mehrstimmiger Sound, der geprägt ist von meinen musikalischen Vorbildern Erol Parlak, Ali Kazim Akdağ und Kemal Dinç.“ Im Nebenfach spielt sie Keyboard. Kömekci und Temburwan können sich gut vorstellen nach ihrem Studium selbst als Lehrer tätig zu werden, „Brücken zu schlagen“ und die „musikalischen Erfahrungen an Schüler weitervermitteln“. Um die Studierenden schon während ihrer Ausbildung Erfahrungen sammeln zu lassen, plant Dahmen ab Herbst auch Projekte, in denen die transkulturelle Musikpädagogik im Vordergrund stehen soll: „Geht raus auf den Markt, in Schulen“, sagt der Schlagzeuger. Und dann spielt an diesem Abend „im Wohnzimmer“ noch Benjamin Stein (30), ein großgewachsener Mann mit zusammengebundenen Rastalocken. Er begann als Kind mit Gitarre und Bass, spielte Schlagzeug und probierte sich an Klarinette, Saxophon und Kontrabass aus. Mittlerweile haben es ihm die persischen Instrumente angetan: Santur, Tar, Dotar und der kurdische Tambur, afghanische Robab und türkische Bağlama gehören in sein Repertoire als freier Musiker, der er auch nach dem Studium bleiben möchte: „gerne mit etwas weniger finanziellen Sorgen“, sagt er. Wie bei seinen Instrumenten, so ist auch sein Sound ein bisschen von allem: „Einige Bands sind eher traditionell, eine persische und eine griechische. Andere sind experimentell und mit eigenem Material.“ Gemeinsam etwas neues schaffen, so stellen es sich auch Ungan und Dahmen vor: „Alles was schön ist, erzeugt Schönheit“, sagt Ungan mit einem Lächeln im Gesicht. Ganz gleich aus welcher Kultur.

91-85174146.jpg
x