Kaiserslautern Als das Leben schneller wurde

Die Moderne beginnt für das Germanische Nationalmuseum Nürnberg im 19. Jahrhundert. Darunter versteht das Haus in seiner Ausstellung „Wege in die Moderne“ etwas eigenwillig den Zeitraum von 1785 bis 1914. Vieles, was heute selbstverständlich ist, hat hier seine Wurzeln. Die Präsentation spürt diesen Aufbrüchen nach und zeichnet anhand von rund 500 Exponaten in den drei großen Abschnitten „Weltausstellungen, Medien und Musik“ das Bild einer Epoche nach, die Grundlage unserer heutigen Medien- und Musikkultur ist.

Für Heinrich Heine war das Pianoforte ein „Marterinstrument“. 1885 bezeichnete das Liechtensteiner Volksblatt Klavierspielen sogar äußerst despektierlich als „eine Art Klauenseuche unter den Pensionatstöchtern und den Mädchen überhaupt“. Maßgeblich zur – offensichtlich manchmal umstrittenen - Popularität des Klaviers beigetragen, hat sicherlich Franz Liszt. Sein Konterfei, wie jetzt die Schau dokumentiert, war auf Pfeifenköpfen aus Porzellan ebenso zu finden wie auf Stahlstichen. In stilisierten Posen, versteht sich. Dieser Virtuose beherrschte nicht nur souverän das Spiel auf den Tasten, sondern nutzte geschickt auch die Klaviatur der Medien dazu, seine Popularität zu steigern. Heute würde man sagen, er war ein Star. Einer der ersten überhaupt. Denn der Begriff „Star“, wie wir ihn kennen, etabliert sich im deutschen Sprachraum erst um 1830. Auf gerade in Mode gekommenen Litfaßsäulen werden im 19. Jahrhundert Plakate mit Konzertankündigungen geklebt. Der Druck von Zeitungen nimmt rasant zu. Und: In illustrierten Blättern kann der geneigte Leser den letzten Klatsch konsumieren. Fotografien und neue Druckverfahren wie etwa die Autotypie – später auch bewegte Bilder – setzen weitere Akzente. Wie stark Medien und Musik sich gegenseitig beeinflussen, verdeutlicht im Germanischen Nationalmuseum auch die in Blau, Rot und Gelb gehaltene Ausstellungsarchitektur. In der Höhe gespannte Fäden zwischen den Übergangspassagen zeigen, wie die verschiedenen Präsentationsbereiche inhaltlich zusammenhängen. Selbst wenn ein schwungvoll geschriebener Brief von Clara Schumann hinter Glas zu sehen ist – die Zukunft gehört hastig hingekritzelten Postkarten, klappernden Schreibmaschinen, Telefonapparaten oder Kurznachrichten per Telegramm. Sie machen das Leben schneller und lassen die Kommunikation mit dem Federkiel allmählich alt aussehen. Auch im Konzertwesen gibt es Neuerungen. Leitete bislang die erste Violine beziehungsweise der Kapellmeister vom Cembalo oder Hammerklavier aus das Ensemble, ist dazu nun – wegen der gestiegenen Anzahl von Orchestermitgliedern – ein eigener Dirigent nötig. Auch die heute noch existierende Unterteilung der Musik in E- und U- beginnt, und auf populären Weltausstellungen in London, Chicago oder Paris entwickelt sich auch eine „Eventkultur“ – mit groß inszenierten Amüsiermeilen. Hier werden die neuesten Erzeugnisse aus Technik, Wissenschaft und Kunst einem Millionenpublikum vorgestellt: egal ob Singer-Nähmaschine, Thonet-Stuhl oder auch ein nachgebautes Alchemistenlabor aus Nürnberg, das jetzt eigens für die Präsentation rekonstruiert wurde. Im Instrumentenbau kommt es ebenfalls zu Innovationen. Die kuriosesten Produkte in der Ausstellung sind neben einer Stockvioline und -flöte sicherlich Hirteninstrumente: eine Trompete aus jungen Weidebäumchen, aber auch ein sogenanntes „Büchel“, ein gefaltetes Alphorn. Entstanden ist es im späten 19. Jahrhundert und erinnert eher an ein Ofenrohr als an ein Musikinstrument. 1913 fertigt Heinrich Wachwitz eine jetzt präsentierte Aluminium-Geige, die sich allerdings nicht durchsetzen konnte. Von ihren etwas blechernen „Klangqualitäten“ können sich die Besucher in einer Medienstationen selbst überzeugen. Mit der Verbreitung von Aufzeichnungsgeräten kommt die Musik aus der Konserve auf und ist bald als profane Ware überall schnell verfügbar. Wenn man so will, sind die jetzt in den Vitrinen aufgestellten Walzenphonographen Vorläufer von Compact-Disc-Spielern. Allerdings sind ihre Wachszylinder noch recht empfindlich und außerdem nach acht- bis zehnmaligem Abspielen zerschlissen. Interessanter sind da schon die frühen Grammophone von Emil Berliner, 1888 patentiert. Hier können bereits in horizontaler Form Scheiben abgespielt werden, deren Größe mit 12,5 Zentimetern Durchmesser einer CD ähnelt. Mit 100 Umdrehungen pro Minute ist dieses handbetriebene Grammophon mit etwa nur einer Minute Spieldauer einer CD aber deutlich unterlegen. Dass Geschäftstüchtigkeit schon früher kein Fremdwort war, belegt in der äußerst kurzweilig und kenntnisreich gestalteten Präsentation unter anderem eine Schellackplatte. Sie kam 1912, nur ein paar Wochen nach dem Untergang der Titanic, heraus – mit dem legendären Choral der Schiffskapelle: „Näher, mein Gott, zu Dir“. Sensationseifer, wie er bis heute unsere Musik- und Medienkultur durchzieht.

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