Grünstadt Wie Jackie Chan ein Brett zerschlagen

Ein 22 Millimeter dickes Brett mit der Hand durchschlagen, sich verbal kraftvoll ausdrücken und wissen, wo man hintreten muss, damit es richtig wehtut – das sind nur einige Lektionen, die zwölf junge Mädchen bei einem Selbstverteidigungskurs am Sonntag in der Schulturnhalle des Leininger-Gymnasiums in Grünstadt gelernt haben. Anke Thomasky der Wendo-Organisation hat das Treffen geleitet.

„Das Wichtigste ist, sich mit starker Stimme zur Wehr zu setzen und zu schreien – sodass der Täter befürchten muss, jemand könne es hören“, erklärt Thomasky. Sie hat es sich zum Beruf gemacht, Mädchen und Frauen zu zeigen, wie man sich in Konfliktsituationen behauptet. Seit zehn Jahren kommt die Sozialpädagogin einmal jährlich nach Grünstadt. Dieses Mal war der ganztägige Kurs auf Mädchen von 14 bis 21 Jahren zugeschnitten. „Ich habe Angst, dass so etwas in Zukunft mal passiert“, begründet die 19-jährige Sophie ihre Teilnahme – und erntet zustimmendes Kopfnicken. Die meisten Anwesenden wollen vorbereitet sein auf den Fall der Fälle. Schließlich könne man ja nie wissen, wann man beschimpft, verfolgt oder gar gegen den eigenen Willen berührt wird. Die Angst vor sexuellen Übergriffen ist am größten, wenn man alleine oder nur mit Mädchen unterwegs ist. Die 14-jährige Leonie wird dieses Jahr mit zwei Freundinnen eine Sprachreise nach England machen. Da man sich in einem fremden Land noch unsicherer fühlt, hat sie sich entschlossen, am Selbstverteidigungskurs von Wendo teilzunehmen. Doch auch in bekannter Umgebung ist man nicht zwingend geschützter: Fünf Prozent aller Vergewaltiger vergreifen sich an fremden Frauen, wie Thomasky erklärt, die Mehrheit wähle für Übergriffe Frauen aus dem Bekanntenkreis aus. Der Grund: „Die Täter wissen bei Bekannten, wie sie auf etwas reagieren – so können sie beispielsweise sagen, dass sie die Katze des Opfers umbringen, wenn sie nicht mitmachen.“ Auch die Teilnehmer haben einiges zu erzählen. Die 17-jährige Lena habe zum Beispiel beim Joggen mit ihrer Hockeymannschaft im Park einen Exhibitionisten gesehen. Dass die Hockeytrainerin in diesem Moment gesagt hat, sie gehen einfach einen anderen Weg, sei falsch gewesen, hat Thomasky klargestellt. Man müsse die Person öffentlich darauf ansprechen und dafür sorgen, dass viele Passanten auf den Vorfall aufmerksam werden. Der Austausch eigener Erfahrungen gehört beim Wendo-Kurs ebenso dazu wie das Training. Die Mädchen haben mit Hilfe von Pratzen geübt, wie man sich im Ernstfall verhalten soll: Fest zuschlagen und bestenfalls den neu erlernten Kampfschrei „Hot“ dabei anwenden. Eine tiefe Stimme sei dabei wichtig. „Der Täter rechnet nicht mit einer starken Frau, die sich sowohl verbal als auch körperlich zur Wehr setzt“, lernen die Teilnehmerinnen. Eine Mut machende Statistik: Von 100 Frauen, die sich wehren, wird nur eine zum Opfer – ohne Selbstverteidigung ist diese Zahl höher. Sollte es zum Übergriff gekommen sein, wissen die Mädchen jetzt, wie man sich richtig verhält: Hilfe bei Familie und Freunden suchen und – obwohl es nicht der erste Gedanke ist – einen Arzt aufsuchen. So können Spuren gesichert und Beweise gesammelt werden. In Deutschland wird ein Vergewaltiger nur verurteilt, wenn ausreichend Beweise vorhanden sind – Aussage gegen Aussage nützt bei einem Prozess nicht viel. Thomasky hat auch Vorurteile aus der Welt geschafft: So existieren bezüglich der Tageszeit keine Unterschiede in der Anzahl der Vergewaltigungen. Trotzdem ist für alle Mädchen der Grünstadter Bahnhof bei Nacht ein Ort, an dem man sich nicht gerne aufhält. Viel Adrenalin ausgestoßen wird bei einer Übung, die zeigt, wie viel Kraft eigentlich in den Mädchen steckt. Mit einer bestimmten Technik ist es möglich, ein 22 Millimeter dickes Holzbrett mit der bloßen Faust zu durchschlagen. Voraussetzungen, damit es gelingt: Atemtechnik, richtige Handhaltung und Entschlossenheit. „Ihr müsst euch vorstellen, dass ihr durch das Brett wollt – nicht nur obendrauf“, so die Einführung von Thomasky. Bevor es „ans Brett“ geht, wird erst einmal mit Pratzen geübt. Die Reaktionen danach: „Das ging ja ganz einfach!“, „War gar nicht schlimm.“ , „Tut nicht weh, kribbelt nur ein bisschen.“ Alle Teilnehmerinnen haben das Brett durchgeschlagen und sich danach sichtlich erleichtert gefühlt. Nicht nur, dass die jungen Frauen nun von sich behaupten können, ein Brett im Jackie-Chan-Stil zweigeteilt zu haben – sie sind auch mit dem Gefühl nach Hause gegangen, in Zukunft auf den Fall der Fälle besser vorbereitet zu sein.

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