Grünstadt Unangestrengt – und unfassbar exakt

Ein fantastisches Erlebnis verpasst haben am Samstag all jene, die nicht zum vierten Konzert der Grünstadter Sternstunden in diesem Jahr kamen. „Gypsy Swing Meets The Klezmer“ war angekündigt und dennoch zogen Gitarrist Joscho Stephan und Klarinettist Helmut Eisel Besucher an, deren Musikgeschmack nach eigenen Angaben „normalerweise eher im Bereich Rock und Metal zu verorten ist“.

Wer nicht bereits im Vorverkauf eine Karte erstanden hatte, musste bis kurz vor Beginn warten, ob sich nicht doch noch ein freier Platz ergab. Uwe Zaiser, erst kürzlich zum Kulturverein gestoßen, und als Mitglied im Konzertausschuss aktiv, gab sich optimistisch: „Das klappt schon. Rücken halt alle etwas zusammen.“ Und natürlich klappte es, jeder fand einen Platz in der Friedenskirche. Los ging es mit „Créateur Immobilier“, einer Komposition von Joscho Stephan, die er als Erkennungsmelodie für die hannoversche Wohnungsbau geschrieben hat. „Wenn Sie dort anrufen, können Sie das Stück nochmal kostenlos anhören“, scherzt er und verweist ansonsten auf den CD-Verkauf in der Pause. In jeder Hinsicht ein gelungener Auftakt, die Musik ist beschwingt und sprüht nur so vor Lebenslust, die Musiker sind bestens aufgelegt, hörbar gut miteinander verbunden. Stephan, ein legitimer Erbe von Django Reinhardt, spielt in einem atemberaubendem Tempo – wirkt dabei so lässig, geradezu entspannt, und ist dennoch ganz konzentriert. Alle Musiker spielen ohne Noten, bis auf Stefan Berger, der für den Kontrabassisten Volker Kamp eingesprungen ist. Alles wirkt völlig unangestrengt und ist trotzdem unfassbar exakt. Selbst einen Metal-Fan hat es zum Konzert verschlagen „Ursulas Freilach“ ebenso wie „Sammy’s“ und später „Babsis Freilach“, präsentiert Helmut Eisel mit seiner Klarinette elegant und eindringlich, er lässt sein Instrument jauchzen und jammern – und er reißt das Publikum zu Szenenbeifall hin. Freilach nennt man, so erklärt es Helmut Eisel, ein Tanzstück der Klezmer-Musik, ein rhythmusbetontes, fröhliches Lied. Und das ist es auch: Die Fröhlichkeit ist ansteckend. In den 1930er Jahren kam jüdische Musik ebenso wie der Jazz aus den USA nach Deutschland und wurde von den Nazis umgehend verboten. Mit einer deutschen Übersetzung wurde das Traditional „Joseph, Joseph“ als „quasi deutsches Liedgut“ laut Eisel jedoch salonfähig. In Grünstadt ist das Original zu Gehör gebracht worden. „Antonia’s Theme“ aus der Feder von Helmut Eisel, dem Wirtschaftsmathematiker und Unternehmensberater, der erst 1993, angefeuert von seinem Freund Gioia Feidmann die Musik zum Mittelpunkt seiner beruflichen Existenz machte, schlägt ganz andere Töne an: Zart sind die Klänge, schmeichelnd und werbend. Geschrieben habe er das Stück, so Eisel, „für eine wunderschöne Cellistin“. Entspannt geht es weiter mit „Sunflower“ aus der Feder von Joscho Stephan, ein unbeschwerter Sommertag wird hier heraufbeschworen, und Helmut Eisels Klarinette begleitet leise wie ein Sommerwind. „The Girl of Ipanema“ blitzt musikalisch hervor, Eisels Klarinette greift das Thema auf und variiert es, bis das Stück in einem ganz langgezogenen Ton endet. Wo nimmt dieser Mann bloß die Luft her für solche Klänge? Die Spielfreude der Künstler, die flirrenden und perlenden Klänge, die witzige Moderation begeistern alle. “Heavy Rain“, das erste Stück nach der Pause, ist einem Sommergewitter zu verdanken, verrät Joscho Stephan, „wenn es einmal regnet, kann man ja als Musiker im Familienurlaub dann endlich komponieren“ - auch schlechtem Wetter lässt sich etwas Positives abgewinnen. Eine Hommage an Theo Mackeben und gleichzeitig namensgebend für die aktuelle CD von Joscho Stephan und Helmut Eisel ist der Titel „Bei Dir war es immer so schön“. „Minor Blues“ feiert Django Reinhardt und bietet gleichzeitig Stephan Berger am Kontrabass die Gelegenheit für ein fulminantes Solo. Melodien bekannter Stücke werden in das Stück geschmuggelt. Paulchen Panther glaubt man gerade erkannt zu haben, da kristallisiert sich Mozarts „Rondo Alla Turka“ heraus, gefolgt von „Smoke On The Water“. Atemberaubend. Das Publikum forderte am Ende drei Zugaben. Und der Zuhörer, der nach eigenen Angaben zum ersten Mal zu einem Sternstunden-Konzert gekommen war und „eigentlich ganz andere Musik hört“? War begeistert. Wie alle anderen auch.

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