Grünstadt Botschafter des Glaubens

Johannes Fischer
Johannes Fischer

Die Glocken – sie sind eine ebenso schöne wie klangvolle Errungenschaft der Menschheit. Und nebenbei beschäftigen sie in unseren Breiten den ganzen Berufszweig der Glockengießer und Kirchenleute wie Messner und Pfarrpersonen, die sich um ihre Erhaltung und ihren Einsatz kümmern müssen. Friedrich von Schiller, einer der Dichter der Deutschen, hat ihnen ein zeitloses literarisches Denkmal gewidmet: „Festgemauert in der Erden steht die Form aus Lehm gebrannt …“ Damit hat er unzählige Schülergenerationen zum Schwitzen gebracht. Hoch über dem Häusermeer unserer Dörfer im Leiningerland verrichten Kirchenglocken ihre Arbeit – überwiegend zur Freude, hin und wieder auch zum Ärgernis der Zeitgenossen. Kirchenglocken waren einmal ein wichtiges Medium, als es weder Tagespresse noch Telefon, Telegraf oder gar Computer gab und die Glocken die einzigen waren, die wichtige Botschaften sehr schnell über größere Entfernungen verbreiten konnten. Klangbotschafter des Glaubens sind sie noch heute. Ihr Schlag erzählt davon, dass alle Zeit in Gottes Händen steht, dass jede Stunde gezählt ist vor Gott. Ihr Läuten erzählt, dass Gott uns durch den Tag begleitet: die Kinder am Morgen auf dem Weg zur Schule, die Berufstätigen am Mittag und am Feierabend. Die Glocken erzählen, dass Gott uns durch die Woche geleitet und den Sonntag festlich macht. Wenn jemand stirbt, dann rufen es die Glocken klagend zum Himmel, wo uns noch die Stimme versagt. Wenn ein Kind getauft wird, wenn zwei Menschen heiraten, dann hört es die ganze Gemeinde und kann sich dankbar und fürbittend mitfreuen. Die Glocken haben einen weiten Weg hinter sich: Sie sind über Ägypten, das Mittelmeer, Frankreich und durch die irischen und schottischen Wandermönche zu uns gekommen. Die älteste Sakralglocke des Kontinents hängt in der oberbayerischen Pfarrei Murnau. Ab etwa 800 verbreiten sie sich bis in die ländlichen Dorfkirchen. Seit dem 12. Jahrhundert gibt es Funktionszuschreibungen wie Tauf- oder Totenglocken. Im 13. und 14. Jahrhundert begann man sie in einem Geläut aufeinander abzustimmen. Das 20. Jahrhundert hat die Klanglandschaft Europas verändert wie nichts zuvor. Im Ersten Weltkrieg sind knapp die Hälfte aller Kirchenglocken Deutschlands vernichtet worden – zerstört oder zu Waffen umgeschmolzen. Den Zweiten Weltkrieg haben nur etwa 20 Prozent der Glocken überdauert. Das Motiv der Nationalsozialisten für den Glockenraub lag vordergründig im Rohstoffmangel, vor allem aber sollte die Stimme der Kirche zum Schweigen gebracht werden. Das ist den Extremisten nicht gelungen. Und überall in Deutschland haben Kirchengemeinden sich auf den Weg zu den Glockengießern gemacht und dem Guss neuer Glocken beigewohnt, ihre Gebete gesprochen, bevor der Zapfen des Schmelzofens geöffnet wurde. Für mich, der ich 16 Jahre an der höchst befahrenen Kirchheimer Weinstraße am Fuße der St. Andreaskirche wohnen durfte, sind es wunderbare Musikinstrumente, die mit ihrem Wohlklang den Alltag mit seinen Motorgeräuschen, Bremsquietschen und Lärmen wohltuend unterbrechen und mich einladen, im Gebet an den zu denken, der über uns letztlich das Sagen hat. Der Autor Johannes Fischer, Evangelischer Pfarrer für Ebertsheim, Mertesheim, Quirnheim und Kindenheim.

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