Grünstadt Apokalypse bedeutet nicht Weltuntergang

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Die Apokalypse des Johannes ist das letzte Buch unserer Bibel. Sie beschreibt in sehr ausdrucksstarken Bildern das Ende der Welt. Allerdings ist sie nur auf den ersten Blick ein Katastrophenbuch. Denn Apokalypse bedeutet „Offenbarung“ oder „Enthüllung“ – und nicht „Weltuntergang“! Das ist wichtig. Denn die Offenbarung des Johannes enthüllt vor allem die Entstehung einer neuen Welt. „Siehe, ich mache alles neu“, heißt es gegen Ende dieses Buches. Am Ende steht daher kein Neubeginn der alten Welt, sondern das Ziel ist erreicht: Es gibt einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und in der prächtigen Stadt Gottes, dem himmlischen Jerusalem, wohnen die Menschen. Aber kann dieses Ziel nicht auch anders erreicht werden? Ist es denn notwendig, dass alles neu wird? Kann Gott nicht einfach diese Erde, so wie sie ist, weiter bestehenlassen? Die Offenbarung des Johannes gibt auf diese Frage eine klare Antwort. Nein. Es ist notwendig, dass alles neu wird. Und die unzähligen weißgekleideten Menschen aus allen Nationen, Sprachen und Kulturen, die vor Gott und dem Lamm stehen, sind ein wichtiger Grund dafür, dass alles neu werden muss. Wer sind diese Menschen? Johannes schreibt: „Aus großer Not und Trübsal sind sie gekommen, haben ihre Gewänder gewaschen und sie im Blut des Lammes weiß gemacht.“ Mit anderen Worten: Diese Menschen sind die Gewaltopfer unserer Welt. Es sind die unzähligen Menschen, die Opfer von Angst, Terror und Gewalt wurden. Gefoltert und umgebracht, missbraucht und vergewaltigt, verletzt und ermordet. Es sind die Verhungerten und Verdursteten. Es sind die Leidenden unserer Welt. Gelitten haben diese Menschen zum Beispiel für ihren Glauben. Aufgrund ihres Glaubens wurden sie verfolgt und sind gestorben. Sind es nur Christen? Johannes schrieb sein Buch im ersten Jahrhundert nach Christus zur Zeit der damaligen Christenverfolgung. Sicher hat er an die verfolgten und ermordeten Christen gedacht. Heute, 2000 Jahre später, denken wir natürlich auch an die Christen, die an so vielen Orten der Welt verfolgt werden. Wir sehen aber auch alle Menschen, die aufgrund ihrer Religion und ihres Glaubens, aufgrund ihrer Nationalität, ihrer Meinung, ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe leiden müssen. Unser eigener Glauben wäre zu eng und unsere Vorstellung von Gott wäre zu klein, wenn wir allein die christlichen Gewaltopfer in der neuen Welt Gottes sehen würden. Damals wie heute verschwinden die Namen der Opfer und der Leidenden im vergesslichen Dunkel der Geschichte. Übrig bleiben die Sieger und die Mächtigen. Sie schreiben ihre Siegergeschichte von oben. Johannes sieht da etwas anderes, etwas Neues. Er sieht mit dem Blick Gottes auf diese Welt. Gott vergisst die Opfer nicht. Er kennt jeden einzelnen Namen. Gott schreibt seine Siegergeschichte von unten. Für diese Geschichte stehen Krippe, Kreuz und Auferstehung. In der Rettung der Opfer aller Gewalt löst Gott auch ein Versprechen ein, das Jesus selbst in den Seligpreisungen gegeben hat. Selig werden die Armen, die Trauernden, die Sanftmütigen und die Barmherzigen genannt. Glücklich werden die Hungernden und Dürstenden, die Friedfertigen und die Verfolgten sein. Das verspricht Jesus in der Bergpredigt. Und Johannes enthüllt: „Das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.“ Diese Tränen sind bei Gott nicht vergessen. Bei Gott hat die Gewalt unserer Welt nicht das letzte Wort. Das heißt: Gott vergisst Jesu Versprechen nicht. Das Lamm hält, was es versprochen hat. Apokalypse gleich Weltuntergang? Für Christinnen und Christen ist das letztlich keine Katastrophe. Wir wissen, dass die Welt und unser eigenes Leben ein Ende haben. Wir vertrauen auf die Auferstehung und das neue Leben durch das Handeln Gottes an Jesus Christus. Eine Katastrophe wäre es aber, wenn wir in der Zwischenzeit tatenlos abwarten würden. Es wäre eine Katastrophe für unsere Nächsten, die Armen, die Verfolgten, die Missbrauchten und die von Gewalt betroffenen. So gesehen kann die Apokalypse jetzt schon die Hoffnung stärken. Sie stärkt die Hoffnung bei denen, die der Hoffnung bedürfen. Sie stärkt ihre Hoffnung vor allem auf Gott. Aber sie stärkt auch ihre Hoffnung auf unsere Solidarität und Mitmenschlichkeit. Der Autor Alfred Müller, Pfarrer in Dirmstein

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