Frankenthal Ohne Worte

„Time to Celebrate“, Zeit zu feiern, heißt das Programm, das der Pantomimekünstler Carlos Martínez aus Barcelona am Freitag in der fast voll besetzten Lutherkirche zeigte. Sein Auftritt war der Auftakt der Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum der Kircheneinweihung, die sich über das ganze Kirchenjahr ziehen.

Schwarze Kleidung, weiße Handschuhe, weiße Schminke – und keine Worte: Das ist Pantomime. Carlos Martínez erzählt Geschichten aus der Stille heraus, mit zierlichen, tänzerischen Bewegungen, stilisierter Gestik, virtuoser Mimik – eine Körperlichkeit, die zugleich abstrakt und deutlich wirkt. Martínez ist ein Meister seines Fachs: Nur behutsam setzt er Standards ein wie auf der Stelle zu gehen oder gegen eine imaginäre Glaswand zu laufen. Einfallsreich und vielgestaltig erzählt er seine kleinen Geschichten, ohne Worte, aber mit vielen Gags und Ideen. Es sind kleine komische Sketche, aber auch kurze Lebensweisheiten. Mit humoristischem Geist und tiefem humanistischem Ernst geht er seine Kunst an. Martinez macht nicht nur Spaß, sondern erzählt auch etwas über die menschliche Natur, über das Verhältnis des Menschen zur Welt. Die Zeit ist dabei ein Thema, das immer wieder leitmotivisch aufscheint: Das erste Stück schon, „Die Taschenuhr“, erzählt den ewigen Kreislauf des Lebens von der Jugendzeit bis ins Alter. Diese kleine Szene reichert Martínez mit vielen Details an, die die Vorstellungskraft der Zuschauer herausfordern: Er umarmt eine Frau, die wir nicht sehen, küsst sie, dreht sich dabei – und in der Drehung erfolgt ein Zeitsprung, nun wiegt er liebkosend ein Baby im Arm. Das alles natürlich alleine, ohne Requisiten als Hilfsmittel, nur unter Anwendung der Fantasie. Der zweite Teil des Abends ist thematisch aus einem Guss, mit einer Rahmenhandlung von einem alten Glöckner, der regelmäßig die Stunde schlagen muss und zwischendurch Szenen seines Lebens aufleben lässt, von der Hochzeit über ein Musikkonzert und Sportereignisse bis zu einem Abschied auf dem Bahnsteig – Begebenheiten, die ein Leben ausmachen. Eine weitere großartige Szene war folgende: Ein Dieb verübt einen Einbruch, leuchtet mit der Taschenlampe die dunkle Wohnung aus, findet den Tresor, knackt das Zahlenschloss – und wird überrascht und gestellt. Woraufhin sich – offenbar aus dem Wunsch des Verbrechers heraus, die Tat ungeschehen zu machen – die ganze Szene schnell zurückspult, mit allen Bewegungen, die Martínez nun rückwärts vollführt, bis zum Ausgangspunkt der Geschichte. Eine Geschichte, über die er am Ende der Show – als er das Schweigen abgelegt hatte für eine kleine Ansprache zum Publikum – eine bewegende Anekdote schilderte: Er habe sie erstmals in einem Gefängnis in Italien aufgeführt. Zu Beginn hätten die Häftlinge noch gerufen: „Carlos, wir können dir zeigen, wie man es besser macht!“ – und am Ende hätten einige der Inhaftierten Tränen in den Augen gehabt und gesagt: „Ich wünschte, ich könnte ebenfalls die Zeit zurückdrehen.“ Anrührend und voll Humor sind Martinez’ Stücke, die immer wieder das Charakteristische des Menschen herauskitzeln, von Schadenfreude über Traurigkeit bis zu Spaß und Glück. Und er vermag auch Größeres: So bebildert er mit seinen Bewegungen die Schöpfungsgeschichte der Bibel oder interpretiert den Psalm vom guten Hirten. Etwas ganz Besonderes hat sich die Lutherkirchengemeinde zu ihrem Jubiläum geleistet mit diesem Pantomimen-Abend. „Dabei ist das ja auch ein finanzielles Risiko“, wie Organisator Pfarrer Martin Henninger meinte. Eines aber, das sich rundum gelohnt hat.

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